Am Abschlag.

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Doktor Nierlich (70) sieht mehr Golf entgegen. In der Pension.

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Wien – Es fehlt nichts, es ist alles da – zumindest aus Sicht eines Laien, zum Beispiel eines Patienten, der sich in der Ordination eines Radiologen in Wien-Floridsdorf wiederfindet. Weiß der Laie allerdings, dass der Herr Doktor eine Golflegende ist, Österreichs Rekordmeister gar, dann scheint doch etwas zu fehlen. Nicht die kleinste Trophäe, keine Urkunde, nicht ein Bild des Sportlers Klaus Nierlich ziert das Behandlungszimmer von Dr. Klaus Nierlich, der, als man mit dem Ansinnen an ihn herantrat, ein wenig über seine Karriere plaudern zu wollen, schon verwundert einwarf, wen das bitte nach so vielen Jahren interessieren solle.

Nierlichs scheinbare Distanz zum Sport hat mehrere Gründe. Zum einen wird der 70-Jährige vor allem mangels Zeit seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht. "Schlecht Golf spielen mag ich nicht. Und akzeptabel bin ich zu selten. Die Ordination hat mich einfach im Griff." Dazu kommen Knie- und Wirbelsäulenprobleme, "die aber mit dem Golf nichts zu tun haben".

Exotisches Golfen

Und schließlich mag auch noch der Werdegang des Golfers Nierlich eine kleine Rolle spielen. Denn der war zum sportlichen Glück gezwungen worden, vom fast überlebensgroßen Vater. Kurt Nierlich hatte im Krieg vor Moskau ein Bein verloren, mit 22 Jahren. Im Kurbad Piestany, heute Slowakei, wo Kurts Vater als Kurdirektor wirkte, versuchte der rekonvaleszente, angehende Arzt Problemen mit seiner Prothese durch sportlichen Ausgleich Herr zu werden. Dass Piestany Mitte der 1940er so etwas Exotisches wie einen Golfplatz anzubieten hatte, war Kurt Nierlichs Schicksal und damit auch das von Klaus, der in Prag geboren wurde, dessen Familie aber nach Kriegsende in Wien landete.

Kurt Nierlich arbeitete an seiner Karriere als Arzt, übernahm 1951 die Ordination, in der sein Sohn heute noch wirkt, und machte sich um die Entwicklung des Golfsports in Österreich verdient. Auch dadurch, dass er Klaus Nierlich rekrutierte. "Ich habe bald anfangen müssen, mit elf, zwölf Jahren." Der Bub, der viel lieber Eishockey oder Fußball gespielt hätte, war damit einer von maximal 500 Golfern, die es damals in Österreich gegeben hat. "Und ich war unter vielen Erwachsenen das einzige Kind."

Klaus Nierlich spielte erst in Lainz, dann im GC Wien-Freudenau, auf dem einzigen 18-Loch-Platz weit und breit. Der Vater finanzierte. "Golf war damals tatsächlich elitär, aber dennoch schon günstiger als das Skifahren. Die Ausrüstung ist unverwüstlich, und es gab in den Klubs noch keine Aufnahmegebühren."

Der Plan B

Mit 15 Jahren bestritt Nierlich seine erste WM, als Amateur natürlich. Zu einem solchen, im besten Sinn des Wortes, wurde Klaus Nierlich nach und nach. Bei etlichen offenen Meisterschaften war der jugendliche Liebhaber des Spiels der Beste seines Standes, in Österreich sowieso, aber auch in Deutschland, der Schweiz und Luxemburg. Der Wechsel ins Profilager, den der Vater unterstützt hätte, kam nie zustande. "Golf war immer nur mein Plan B." Klaus Nierlich verfolgte aber Plan A, das Medizinstudium, das ihm auch mehr Zeit für den Sport ließ.

Dreimal gewann er die offenen österreichischen Meisterschaften, alles in allem brachte er es über sämtliche Kategorien auf mehr als 50 Meistertitel. "Ich bin einmal beim Zusammenzählen auf 63 gekommen." Zudem war ihm mehrmals die Ehre zuteil, für den traditionellen Vergleich mit den besten Amateuren aus Großbritannien und Irland ins kontinentaleuropäische Team geholt worden zu sein. Klaus Nierlich, Handicap +1, war damals der einzige international bekannte Golfer aus Österreich, er zierte im Jänner 1964 gar die Titelseite der renommierten Golf Illustrated. Der Blick über den europäischen Tellerrand fiel schwer, "man hat gewusst, dass es einen Arnold Palmer, einen Jack Nicklaus gibt, aber es gab keine Infos über das Golf in den USA. In den Zeitungen wurde wenig berichtet, im Fernsehen oder Radio nichts." Und wirklich gut habe man in dieser Zeit als Golfer in Österreich nicht werden können, "weil die Plätze zu klein und schlecht gepflegt, die Greens zu langsam waren".

"Mädchen für alles"

Immerhin nahm der Sport schließlich doch einen sagenhaften Aufschwung. Österreichs Golfverband (ÖGV) hat heute mehr als 100.000 Mitglieder in gut 150 Vereinen. Klaus Nierlich, der 1981 die Ordination seines Vaters übernahm, diente dem ÖGV bis zur Position des Vizepräsidenten. Er war im GC Schönborn "Mädchen für alles". Und er sorgte dafür, dass nicht mehr die Klubs, sondern der Verband für die Ausbildung der Talente zuständig war. Es kam zu Kadereinteilungen nach Regionen. Einem der ersten dieser von Nierlich organisierten Kader gehörte ein junger Burgenländer namens Bernd Wiesberger an. Dessen Karriere verfolgt Klaus Nierlich. Dessen Popularität war ihm nie beschieden. Der weitaus Prominenteste eines reinen Nierlich-Flights bei einem Turnier, an dem Klaus und sein um drei Jahre jüngerer Bruder Peter teilnahmen, war natürlich Namensvetter Rudi Nierlich, das Skiidol, das wenig später, im Mai 1991, mit dem Auto tödlich verunglückte.

Klaus Nierlich, verheirateter Vater einer erwachsenen Tochter, geht mit Jahresende in Pension. Er wird wieder öfter auf dem Golfplatz sein, um öfter akzeptabel zu spielen. In seinem Behandlungszimmer fehlt zumindest bis dahin nichts. Trophäen, Urkunden und Fotos sind ja entbehrlich, solange noch der leibhaftige Rekordmeister ordiniert. (Sigi Lützow, 7.9.2015)