"Na geh." – Juraczka dementiert optische Ähnlichkeiten mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

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Wien – Bezirkschefin Ursula Stenzel sei "jetzt ganz auf FPÖ-Parteilinie". Er bereue deshalb nicht, sie im ersten Wiener Bezirk gegen den jüngeren Spitzenkandidaten Markus Figl ausgetauscht zu haben, sagt Manfred Juraczka, Landesparteiobmann der ÖVP Wien, im STANDARD-Interview.

Nach der Wahl würde Juraczka mit allen Parteien verhandeln. Eine Koalition schließe er nur aus, "wo wir unsere Handschrift nicht erkennen". Der derzeitigen Flüchtlingspolitik der FPÖ "applaudieren wir nicht".

STANDARD: Nach dem Wechsel Ursula Stenzels zur FPÖ ist es Zeit für eine Fehleranalyse. Wie konnten Sie die Bezirkschefin derart verärgern, dass sie zur FPÖ geht?

Juraczka: Ursula Stenzel ist jetzt ganz auf FPÖ-Parteilinie. Sie will einen Grenzzaun zu Ungarn aufstellen. Das ist sicher nicht die politische Welt der ÖVP. Ein anständiger Christdemokrat wechselt nicht zur FPÖ.

STANDARD: Bereuen Sie Ihre Entscheidung, Ursula Stenzel ausgetauscht zu haben?

Juraczka: Nein, ganz im Gegenteil. Ich bin umso mehr überzeugt, dass die Bezirksgruppe gut daran getan hat, diesen Generationswechsel einzuleiten.

STANDARD: War das die Rache für den Satz Stenzels: "Der Stadtparteichef bringt keinen geraden Satz in einem TV-Interview heraus"?

Juraczka: Dass Frau Stenzel nicht gerade zimperlich ist, wissen wir. Ich wünsche den Kollegen Strache und Gudenus noch viel Spaß bei der tagtäglichen Arbeit mit der Frau Bezirksvorsteherin.

STANDARD: Das Resultat ist, dass die ÖVP den prestigeträchtigen ersten Bezirk verlieren könnte.

Juraczka: Da widerspreche ich heftigst. Für keinen bürgerlichen Menschen ist es eine Option, die FPÖ zu wählen. Wer bürgerlich ist, ist bei der ÖVP zu Hause.

STANDARD: Was wird Ihre Konsequenz sein, wenn das nicht so ist?

Juraczka: Wir werden den ersten Bezirk halten, da können Sie sich ganz sicher sein.

STANDARD: Und wenn Sie ihn doch verlieren sollten?

Juraczka: Dann haben wir unser Wahlziel nicht erreicht.

STANDARD: Die Umfragewerte der ÖVP Wien sind nicht berauschend. Maria Vassilakou will bei einem Minus zurückzutreten. Sie auch?

Juraczka: Vassilakous Ankündigung ist nicht mehr als ein billiger Gag. Ich halte es für denkunmöglich, dass die grüne Fraktion in den entscheidenden Tagen nach der Wahl führungslos ist.

STANDARD: Sie werden also nicht zurücktreten, wenn Sie unter den 13,99 Prozent von 2010 liegen?

Juraczka: Wir werden die Wahlen schlagen und werden uns dann die Regierungsbildung ansehen.

STANDARD: Bei der Listenerstellung für die Wien-Wahl ließen Sie altgediente Funktionäre wie Ingrid Korosec außen vor. Korosec muss nun Vorzugsstimmen sammeln. War es richtig, so drüberzufahren?

Juraczka: Wir haben die Kandidatenlisten mit mehr als 90 Prozent in einem 50-köpfigen Gremium beschlossen. Wir sind die einzige Partei, die dem Wähler das letzte Wort gibt, und wir haben die Vorzugsstimmenhürde auf ein Zehntel der gesetzlich vorgesehenen Hürde reduziert. Es liegt an jedem, für sich zu werben, und letztlich an den ÖVP-Wählern, das beste Team zusammenzustellen.

STANDARD: Die Neos sehen Vorboten für eine schwarz-blaue Koalition. Schließen Sie das aus?

Juraczka: Was die Neos alles sehen. Ich habe immer klar gesagt, Gespräche führe ich mit allen. Es gibt zu allen Parteien Barrieren, die nicht leicht zu überbrücken sind.

STANDARD: Hat Ursula Stenzel den Weg zu Blau-Schwarz geebnet?

Juraczka: Nein. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich mit einer Partei rede, weil sie vom Wähler demokratisch legitimiert ist, oder ob ich für eine Partei kandidiere. Um jetzt Stenzel zu wählen, muss ich die FPÖ ankreuzen.

STANDARD: Eine Koalition ist ja trotzdem möglich.

Juraczka: Ich rede mit allen Parteien, die derzeit im Gemeinderat sitzen, bekennen würde ich mich zu keiner anderen Fraktion.

STANDARD: Können Sie die Kritik an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) nachvollziehen?

Juraczka: Nein. Die arme Mikl-Leitner macht unter Aufbringung unglaublicher Kräfte einen großartigen Job.

STANDARD: Davon merkt man bei der derzeitigen Flüchtlingssituation nichts. Was hätte Mikl-Leitner anders machen müssen?

Juraczka: Deshalb hat sie ihre Anstrengungen mit dem Durchgriffsrecht auf Nationalratsebene gehoben. Es kann nicht sein, dass die Ministerin mit jedem Bürgermeister tagelang Überzeugungsarbeit in Gesprächen leisten muss.

STANDARD: Die Flüchtlingskrise spielt der FPÖ in die Hände. Wenn Blau gestärkt wird, könnte die ÖVP in Wien zwischen zwei Koalitionspartnern wählen: FPÖ und SPÖ.

Juraczka: Ich glaube nicht, dass es automatisch die FPÖ stärkt, wenn man die Dinge mit Vernunft regelt.

STANDARD: Glauben Sie, dass nicht nur der FPÖ, sondern auch der ÖVP in Wien das Flüchtlingsthema in die Hände spielt?

Juraczka: Es gibt bei diesem Thema zwei Extremansätze und einen Weg der Vernunft. Ich nehme für unsere Partei in Anspruch, dass wir den Weg der Vernunft gehen wollen. Das ist vielleicht schwerer zu erklären als "Ausländer raus" oder "Asyl für alle".

STANDARD: Sie können sich Rot-Schwarz vorstellen, wenn es einen Kurswechsel der SPÖ gäbe.

Juraczka: Ich kann mir eine Regierungsbeteiligung prinzipiell vorstellen, wenn wir auch bei den Finanzen einen anderen Kurs fahren als die jetzige Regierung, ja.

STANDARD: Würden Sie einen solchen Kurswechsel auch von der FPÖ verlangen?

Juraczka: Ganz ehrlich, eine Zusammenarbeit mit der FPÖ mit ihrer derzeitigen Flüchtlingspolitik kann ich mir nicht vorstellen. Wir applaudieren ihnen nicht.

STANDARD: Sie schließen eine Koalition mit der FPÖ in Wien aus?

Juraczka: Ich schließe eine Koalition aus, wo wir unsere Handschrift nicht erkennen. Wenn die SPÖ eine eklatante Neuverschuldung will, schließe ich eine Beteiligung der ÖVP genauso aus wie bei einer Politik, die nur Ängste macht und keine Sicherheit gibt.

STANDARD: Sie fordern mehr Gymnasien. Was leisten sie, was eine Neue Mittelschule nicht kann?

Juraczka: Schauen Sie sich die Pisa-Tests an. Wir waren 2012 nur im europäischen Mittelfeld. Nach Schultypen aufgeschlüsselt, wäre das Gymnasium aber Spitzenreiter, noch vor Vorzeigeländern wie Finnland oder der Schweiz.

STANDARD: Andere Studien sagen: Wenn es eine gemeinsame Schulform gäbe, würde insgesamt das Leistungsniveau steigen.

Juraczka: Die Pisa-Tests zeigen eindeutig, dass die AHS performt. Wir sollten sie nicht aus ideologischen Zwängen heraus entsorgen.

STANDARD: Sie sehen Strache ähnlich und gehen wie er in Diskotheken. Erkennen Sie Parallelen?

Juraczka: Na geh. Wir sind beide Jahrgang 1969 – übrigens auch die Kollegin Vassilakou. Das dürfte ein starker Politjahrgang sein. Ja, ich mache eine Veranstaltung für junge Menschen, "Manfreds Nachtflug". Das war es dann aber auch. Jeden Abend werde ich nicht durch die Diskotheken ziehen. Der Wahlkampf ist schon so anstrengend genug. (Christa Minkin, Rosa Winkler-Hermaden, 4.9.2015)

Manfred Juraczka (46) ist seit 2012 Landesparteiobmann der ÖVP Wien.