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Dijsselbloem: Wenn wir mehr Solidarität in der Währungsunion wollen, müssen einige Länder ihr Haus in Ordnung bringen.

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STANDARD: Am 20. September finden Wahlen in Griechenland statt. Müssen Sie wieder in den Ring steigen, sollte es danach keine klaren Mehrheiten für den Beschluss der geforderten Reformen geben?

Dijsselbloem: Im schlimmsten Szenario können die Wahlen Auswirkungen haben. Ich will aber nicht spekulieren, sondern den Ausgang abwarten. Das Griechenland-Paket basiert auf einer Analyse der Probleme, und die Probleme in Griechenland können sich durch Wahlen nicht verändern.

STANDARD: Doch es sind weitere Beschlüsse im griechischen Parlament notwendig. Was passiert mit den Hilfszahlungen, wenn Entscheidungen nicht zustande kommen sollten?

Dijsselbloem: Es könnte auch sein, dass die breite Mehrheit, die das Programm beschlossen hat, noch größer wird. Unabhängig von Wahlen, alten oder neuen Regierungen: Das Programm gibt immer vor, dass die Maßnahmen umgesetzt werden müssen, bevor es zur Auszahlung der Gelder kommt. Das war immer die Regel und wird es auch bleiben.

STANDARD: Der Währungsfonds rechnet wegen der Neuwahlen mit einer Verzögerung der Umsetzung des Programms. Sie auch?

Dijsselbloem: Es könnte sein, dass die Institutionen (die frühere Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF, Anm.) einen Review machen und im Oktober an uns berichten werden. Wir haben auf Anfang Oktober gehofft, es könnte jetzt später Oktober werden. Der Oktober wird generell wichtig. Wir benötigen erst den Review, dann die nächsten Vorschläge Athens beispielsweise bei Pensionen und zusätzlichen fiskalischen Maßnahmen. Wenn das alles gutgeht, muss der IWF eine wichtige Entscheidung treffen. Wir wollen alle, dass der Währungsfonds bei der Finanzierung des Programms dabei ist.

STANDARD: Sollte das nicht der Fall sein, müsste die Eurozone das 86 Milliarden Euro schwere Paket alleine stemmen. Der Währungsfonds hat bereits anklingen lassen, dass die Verschuldung mit dem jetzigen Paket nicht tragbar sei.

Dijsselbloem: Sie spekulieren gerne.

STANDARD: Wenn der IWF das kommuniziert, ist das mehr als Spekulation.

Dijsselbloem: Wir haben das Programm in enger Zusammenarbeit mit dem IWF designt. Einige Themen konnten in der kurzen Zeit nicht gelöst werden, weshalb mit Griechenland vereinbart wurde, dass die Vorschläge für die Pensionsreform im Oktober vorgelegt werden. Der IWF hat das verstanden. Jetzt müssen die Griechen liefern. Und die Eurozone muss mit dem Währungsfonds über die Verschuldungsfrage reden. Wir sind da schon ein ganzes Stück weitergekommen: Wir konzentrieren uns jetzt auf die Höhe des Schuldendiensts und nicht auf die Verschuldung als Verhältnis zur Wirtschaftsleistung.

Es geht nun darum, ob Zinsen und Rückzahlungen verkraftbar sind. Dafür gibt es einen Referenzwert von 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und den wird Griechenland nach den Kalkulationen in den nächsten 15 Jahren nicht überschreiten. In den Gesprächen mit dem IWF geht es jetzt darum, die unterschiedlichen Szenarien anzupassen und festzulegen, was passiert, wenn der Schuldendienst die 15 Prozent doch überschreiten sollte.

STANDARD: Dennoch wird man Athen bei den Schulden entgegenkommen.

Dijsselbloem: Im alten Programm gab es einen Passus, dass die Kreditkonditionen erleichtert werden, wenn Griechenland trotz Umsetzung aller Maßnahmen die Ziele nicht erreicht. Diese Vereinbarung wurde wiederbelebt. Dabei geht es um die Verlängerung der Rückzahlungsfristen, die Senkung der Zinsen et cetera. Was es nicht geben wird, ist ein Haircut auf die Kredite der Eurozone.

STANDARD: Der Haircut ist laut vielen Experten wichtig, um das Vertrauen der Investoren in die Stabilität Griechenlands wiederherzustellen und so endlich wieder Wachstum zu ermöglichen.

Dijsselbloem: Griechenland hat sich 2014 besser entwickelt als von allen erwartet. Die Wirtschaftslage lag auch über den Annahmen, die dem zweiten Hilfspaket 2012 zugrunde gelegt wurden. Erst mit dem Aufflammen der politischen Instabilität hat sich die Situation verschlechtert. Die Experten sollten nicht auf die Verschuldung fokussieren, sondern auf die Fähigkeit, Jahr für Jahr die Zinsen zu bezahlen.

Da gibt es Kreditlaufzeiten von 32,5 Jahren, "Grace Periods", in denen gar keine Zahlungen anfallen, danach niedrige Zinsen von etwas mehr als einem Prozent. Das ist so viel, wie Deutschland und die Niederlande bezahlen. Das Prinzip ist: Wir stellen Geld zu günstigen Konditionen zur Verfügung, im Gegenzug muss die Wirtschaft in Ordnung gebracht werden.

STANDARD: Griechenland hat auch die Schwächen der Währungsunion offengelegt. Jetzt wird über eine Vertiefung der Eurozone nachgedacht. Was sollte aus Ihrer Sicht im Vordergrund stehen?

Dijsselbloem: Es gibt kurzfristige und langfristige Überlegungen. Für mich steht das Wichtigste am Anfang. Andere springen hingegen sofort ans Ende des Prozesses und sagen: Wir brauchen ein Eurozonenbudget und einen Eurofinanzminister. Das kann aber nur funktionieren, wenn wir die anderen Aufgaben zuerst erledigen: Wir brauchen Strukturreformen, um wettbewerbsfähiger zu werden und besser gegen Schocks gewappnet zu sein.

Und die Konvergenz der Euroländer muss wiederhergestellt werden. Die Eurozone war am Beginn eine Konvergenzmaschine. Staaten der sogenannten Peripherie haben rasch aufgeholt. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise hat sich diese Entwicklung umgekehrt. Strukturreformen kann man nicht mit einem Eurozonenbudget kompensieren.

STANDARD: Wie kann ein Konsens über eine echte Fiskalunion gefunden werden?

Dijsselbloem: Das wird ein Abtausch. Wenn wir mehr Solidarität in der Währungsunion wollen, müssen einige Länder ihr Haus in Ordnung bringen. Mich sorgt, dass viele Leute nur darüber reden, was am Ende kommen soll, weil sie offenbar nicht darüber sprechen wollen, was wir jetzt machen können und sollen. Wir dürfen die Reihenfolge der Maßnahmen nicht umdrehen.

Das Schlimmste wäre, wenn wir die Langfrist-Veränderungen durchführen, ohne die jetzigen Probleme zu lösen. Ich bin überzeugt, dass die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Euroländer konvergieren muss. Was ich nicht will, ist, nur über die Versicherung zu reden, ohne die Risiken zu beseitigen. Diese Risiken gibt es in der Währungsunion.

STANDARD: Und der Stabilitätspakt? Da werden laufend Verschärfungen vorgenommen mit dem Ergebnis, dass große Länder wie Frankreich und Italien trotz Verfehlung der Ziele ungestraft davonkommen.

Dijsselbloem: Die Regeln sollten vereinfacht werden. Ich habe in den Niederlanden schon größte Schwierigkeiten zu erklären, wie die Budgetregeln funktionieren. Die EU-Kommission soll dazu neue Vorschläge ausarbeiten. Zweiter Punkt: Länder wie die baltischen Staaten, Irland und Spanien verzeichnen ein Wachstum von mehr als drei Prozent. Nur zwei große Länder kommen nicht voran: Frankreich und Italien. Die Reformen sind politisch schwer durchsetzbar. Aber sie kämpfen. Das macht mich optimistisch. (Andreas Schnauder, 4.9.2015)