Kleine Rutschenhalle in der "Post City" – das aufgelassene Verteilzentrum ist für das Motto des diesjährigen Ars-Electronica-Festivals perfekter Spielort: "Post City. Lebensräume im 21. Jahrhundert".

Foto: Michael Hierner

Linz – Es ist ein riesiger Graubereich der Linzer Lebenswelt: das ehemalige Postverteilzentrum gleich neben dem Hauptbahnhof. Vergangenen Herbst wurde es aufgelassen und blickt seither einer ungewissen Zukunft entgegen. Gerfried Stocker, Leiter der Ars Electronica, vermutet, sie bestehe aus Schrott und kleinen Teilchen. Ja, genau genommen sei jener Ort, den er sich als Herzstück für das diesjährige Festival ausgesucht hat, "Altstoff".

Doch so düster möglicherweise die Zukunft des 80.000-Quadratmeter-Areals ist, jetzt darf es noch einmal ordentlich aufblühen und im Zuge dessen sogar ein lustiges Wortspiel verursachen: "Post City" lautet nämlich das Motto der heurigen "Ars", auf der es um die neue alte Frage nach der Stadt der Zukunft geht, nach den Menschen, Technologien, der Ästhetik darin.

Und auch die Ausblicke, die Kunst und Wissenschaft hier in den kommenden vier Tagen auf die soziopolitische Zukunft tun, sind durchwegs optimistisch. Ja, eher schon ist es ein Zuviel an Perspektiven, die gleich an mehreren Locations in der Linzer Innenstadt aufgeboten werden.

Das Ars-Electronica-Festival ist ein Ungetüm, das mit seinen Installationen, Vorträgen, Konzerten und Festivals im Festival (!) schon länger ein bisschen zum Ausufern neigt. Aber es meint es unterm Strich gut mit uns.

Zum Beispiel will es uns lehren, wie wir von bloßen Smart-City-Bewohnern zu Smart Citizens werden, also den Technologien, die uns umgeben, auch auf Augenhöhe gegenübertreten können. Schließlich sollen ja zum Beispiel unsere Autos nicht klüger werden als wir. Genau dieses Verhältnis – Mensch versus autonomes Auto – thematisiert ein Projekt, für das das "Future Lab" der Ars Electronica mit einem renommierten Autohersteller kooperierte. Unweit davon singen friedlich die Drohnen, also diese kleinen, ferngesteuerten Fluggeräte, die uns in einer nicht so fernen Zukunft angeblich Pakete zustellen könnten, beim Formationsflug.

Brett vorm Kopf

Die Technik wird hier indes nicht nur affirmativ thematisiert. Gezeigt wird etwa auch ein "Fahrradi" des österreichischen Künstlers Hannes Langeder: Was auf den allerersten Blick wie ein blitzroter Sportwagen aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein geschickt mit Pappe verkleidetes Fahrrad. Vielleicht nicht gerade subtile, aber trotzdem schöne Ironie tragen indes auch Peter Moosgaards Virtual-Reality-Brillen aus Holz, respektive Geäst, bei. Wenn man sich diese aufsetzt, wird man in keine computergenerierten Zauberwelten gesogen – man hat dann lediglich quasi ein Brett vor dem Kopf. Mit Kurator Stocker ist es allerdings gut für möglich zu halten, dass man in so einem Stück Ast "mehr sieht als in eigentlichen Virtual-Reality-Brillen".

Überhaupt fällt auf, dass die Natur bei allem Industrie- und Technocharme im Festivalzentrum gut vertreten ist. Zum Beispiel in der "kleinen Rutschenhalle". Sie heißt so aufgrund einer Anlage aus unzähligen spiralförmigen Rampen, die ehedem zur logistischen Verteilung der Pakete dienten. Jetzt stehen Bäume und Pflanzen zwischen den blauen Blechrutschen, und es wächst Salat in diesem System: ein schönes und zeitgemäßes Bild, wenn man bedenkt, dass diese fast ein bisschen kafkaesk anmutende Anlage lange Jahre für die bürokratisch korrekte Verteilung für aus aller Welt ankommende Pakete sorgte. Eine größere Version eines solchen Systems nutzen die österreichischen Künstler Anatol Bogendorfer und Peter Androsch denn auch für eine Performance namens Diaspora Maschine.

Geprägt ist die Atmosphäre in der Post City dann aber auch noch von den Restln der Pakete, die hier einst kursierten: Aus geschreddertem und gepresstem Altkarton bestehen teils die Podeste, auf denen nun Bildschirme flimmern. Irgendwie scheinen sie zu sagen: Das gute alte Papier taugt nur noch zum Stockerl für den Sieger im Kampf zwischen analog und digital.

Gleichzeitig zeigt sich die moderne Technologie allerdings von ihrer schönen Seite. Es flimmern Stadtkarten vorbei, auf denen nicht Straßen oder Plätze zu sehen sind, sondern wo eingezeichnet ist, an welchen Orten die positivsten oder negativsten Tweets abgesondert worden sind. Solche statistischen Daten (die auch für Linz präsentiert werden) sollen Stadtplanern helfen, langfristig lebenswerte Städte zu entwerfen.

Kurator Stocker geht es allerdings auch um schnelle Veränderungen: Im Projekt Renaming the City sollen Stadtbewohner über die Umbenennung von Straßen nachdenken. Am Ende des Festivals soll eine Straße durch den Linzer Volksgarten tatsächlich, bürgermeisterlich beglaubigt, umbenannt werden. "Um den offiziellen Aspekt zu bekräftigen", wie Kurator Stocker sagt. An einem Tisch "zusammensetzen kann man sich bald einmal". (Roman Gerold, 3.9.2015)