STANDARD: Derzeit kommt es zu sehr vielen Terroranschlägen und Entführungen an Tourismushotspots. Wird das den globalen Tourismus verändern?

Reiter: Natürlich ist Tourismus ein sensibler Wirtschaftszweig. Aber solche Anschläge, wie wir sie derzeit beobachten, werden immer nur als kurzfristiges Phänomen wahrgenommen. Touristen sind relativ resistent, was unsichere politische Situationen betrifft.

STANDARD: Aber die jüngsten Anschläge zielten doch direkt auf Touristen beziehungsweise auf die Tourismusbranche ab.

Reiter: Ja. Wenn so etwas passiert wie in Tunesien, wo bei einem Anschlag in einer Hotelanlage 38 Urlauber umkommen, ist das anders. Da ist es klar, dass das Land langfristig Schwierigkeiten haben wird, auf das internationale Tourismusparkett zurückzukehren. Das betrifft übrigens auch andere arabische Länder, die von kriegerischen Konflikten erschüttert werden.

STANDARD: Und wie sehen Sie den Anschlag auf Thailand?

Reiter: Den meisten Reisenden ist gar nicht bewusst, dass dort quasi eine Militärdiktatur herrscht. Grundsätzlich sind Touristen in der Regel sehr abgeschnitten. Sie bewegen sich in einem Cocoon, entlang einer Art Ameisenstraße. Wenn irgendetwas die Tourismuszentren stört, dann gibt es kurzfristig Irritation und das Gefühl von Unsicherheit. Aber langfristig kann sich eine Destination wie Thailand behaupten.

STANDARD: Neben der verständlichen Gefahr durch den Terrorismus scheinen sich manche Tourismusdestinationen im Mittelmeer auch von Flüchtlingen bedrängt zu fühlen.

Reiter: Ja, da wird die touristische Idylle plötzlich mit dem realen Elend konfrontiert. Schon unter normalen Verhältnissen gibt es im Tourismus einen – meist latenten – Kulturkonflikt zwischen Quellmarkt und Zielmarkt, dem Eigenen und dem Fremden. Schon da kann es zu Zuspitzungen kommen, bis hin zu einer feindlichen Stimmung gegen Touristen. Etwa am Ballermann, auf Mallorca, wo die Behörden gegen die vielen Betrunkenen nun massiv vorgehen. Oder in Berlin-Kreuzberg, wo extrem viele Briten nachts betrunken herumtorkeln und die Einwohner sich belästigt fühlen.

STANDARD: Dieses Problem mit dem Fremden spitzt sich nun auf vielen Tourismusinseln, die von Flüchtlingen gestürmt werden, zu? Etwa auf Kos, Griechenland, oder auf Lampedusa, Italien?

Reiter: Ja, dort fühlen sich Hoteliers und Gastronomen zunehmend bedroht von Flüchtlingen und ihrem augenscheinlichen Elend. Das ist aber auch anderswo in Europa zu beobachten: auf dem Strand von Jesolo, wo Flüchtlinge übernachten; am Bahnhof in Mailand, wo sie kampieren müssen.

STANDARD: Das heißt, im Urlaub wird das Fremde gesucht – aber zu fremd darf es auch nicht sein?

Reiter: Man muss sehen, dass das, was sich auf einigen Inseln Griechenlands, Italiens und Spaniens abspielt, eine veritable Völkerwanderung ist. Wenn man da keine politischen Antworten findet, macht das mehr kaputt als nur ein Land als Destination. Es kann nicht sein, dass Griechenland überrollt wird, und die anderen schauen zu, nur weil Griechenland in einer geostrategisch exponierten Lage ist.

STANDARD: In Österreich gab es aber auch ganz gegenteilige Bewegungen.

Reiter: Ja, einige österreichische Hoteliers haben sich vorbildlich darum bemüht, Flüchtlinge unterzubringen, zum Beispiel in Mitarbeiterhäusern. (3.9.2015)