Die Menschen hatten immer Sehnsucht nach einem versicherten Anfang und einem verheißenen Ende. Diese Suche fand ihren Ausdruck in den Kulten rund um das sakrale Zentrum der Gemeinschaft, vor dem der Einzelne in Ehrfurcht zu erschaudern hatte.

Ob es die Reihe der Ahnen war, ohne die man nicht existieren würde und die durch tradierte Kulturtechniken das individuelle Überleben sicherten, oder ob man mittels Poly- und Monomythen das eigene Dasein durch Erzählungen transzendent einbettete, jede Geschichte zur Sicherung des Selbstverständnisses war besser als gar keine. Welche alternativlose Geschichte wird uns heute gepredigt?

Das Mysterium vom ewigen Wachstum und Prosperität durch eisernes Sparen. Dazu erschaffen wir uns Geld ohne Ende, einfach aus dem Nichts. Man muss dazu nur fest an die hl. Troika glauben, dann geschehen Wunder.

Ob man heute den Begriff Religion auf relegere (bedenken, Acht geben), auf religare (zurückbinden) oder auf rem ligere (etwas mit Skrupel beachten), zurückführt, bleibt letzten Endes egal. Es handelte sich lange um den Begriff zur Einhaltung ritueller Handlungen, später wurde ein Berufsstand mit Aussicht auf höhere Ehren damit bezeichnet. Das Heilige war unaussprechlich und hinter den Tempelvorhang abgesondert. Es wurde als sakrosanktes Mysterium überhöht.

Ich bin, ich weiss nicht wer

Einem Ironiker erweisen sich solche Konstrukte, ob sakral oder profan institutionalisiert, als interessensgeleiteter Mummenschanz, um Führungspositionen in einem oktroyierten Referenzrahmen zu besetzen.

Dem Ironiker ist nichts heilig, nicht einmal er selbst. Jeder Ernst eines Objekts ist auflösbar. Man soll über alles und jeden lachen können. Hier zeigt sich eine Verwandtschaft zum Kynismus, der, durch Satire und Provokation, unreflektierte gesellschaftliche Vorannahmen und Gewohnheiten bloßstellen wollte.

Die mit religiöser Inbrunst geforderte außerordentliche Stellung gleicht in ihrer Verblendung gegenüber Alternativen oft jenen fanatischen Bewegungen, gegen die wir uns so gern als Humanisten und daher als bessere Menschen abgrenzen möchten. Diese Strömungen verlaufen sich zu unserem Glück, wenn man ein bisschen nachhilft, meist in Selbstzerstörung. Das kann uns mit dem Neo- und Ordoliberalismus und seinen Erzählungen zum erwartbaren chiliastischen Ende, wenn wir nur endlich alles fix und fertig gespart haben, nicht passieren.

Ich komme, und weiß nicht woher

Aber was ist dann, wenn nichts Fixes mehr da ist, wenn alles hinterfragt werden kann und es keine Wahrheit mehr gibt? Wie muss es einem Menschen gehen, der alles relativiert, auch sich selbst?

Woran kann so jemand glauben, man müsse doch an irgendetwas glauben. Und birgt die Ironie, die zwar alles kritisiert und so jene eine täuschende Sicherheit vorspielenden, ideologischen Konstrukte entblättert, nicht auch die Gefahr, dass man allem gegenüber gleichgültig wird? Solche Menschen stellen sich doch keinen konkreten Problemen, sie verharren in der Reflexion, zerreden alles und verachten die Welt von oben herab. So jemand kann doch nicht mehr teilhaben am Streben der Menschen nach Einheit in Ewigkeit, wie es die nach Verschmelzung lechzende romantische Liebe oder die nach Totalität strebenden politisch-ästhetischen Imperative verheißen.

Was bleibt übrig, wenn Gefühle immer nur vorläufig wahr, kein Standpunkt fix, keine Lösung endgültig, kein Vertrauen blind und keine Ekstase vollkommen ist? Kann die Ironie das Mittel sein, um wenigstens nicht enttäuscht zu werden, indem man sich jedem naiven Entzücken verweigert? Doch wer ist dann diese ironische Person, die im Vielleicht bleibt, ständig am Sprung und in Gedanken schon wieder woanders ist, oder auch nirgends. So jemand ist ja nicht greifbar, das ist ja zum Fürchten!

Ich gehe, ich weiss nicht wohin

Ein Ironiker wäre der Idealbürger in einer postmetaphysischen Demokratie. Jede Weltanschauung, die für sich einen Alleinanspruch geltend macht, wird durch das elegante Wechselspiel zwischen Skeptizismus, der keine Wahrheit zulässt, und Relativismus, dem alle Wahrheiten gleich, also nichtig sind, zerrieben. Demokratie ist die permanente Enttäuschung von Vollkommenheiten.

In Ermangelung fixer Lösungen halte man sich ans Usuelle und taste sich konservativ, im chirurgischen Sinn, also möglichst viel Gutes erhaltend, langsam vorwärts. Demokratische Systeme gewinnen aus ihrer grundsätzlichen Selbstgefährdung Bestand, wenn die gegensätzlichen Gewalten einander moderieren und man die eigenen Grundlagen ironisch zu hinterfragen vermag, um sie so aus der Bewegung zu festigen.

Demokratie kann antifragil (siehe Nassim Taleb: Antifragilität) sein. Vermögen es die westlichen, von einigen bereits als postdemokratisch titulierten Staaten sich als nachaufklärerische Metafiktion zu entfalten oder bleiben sie in jener verhängnisvollen Verkehrung stecken, die uns als Heil vorgegaukelt wird und die Michel Foucault so beschrieben hat: "Es soll sich viel mehr um einen Staat unter der Aufsicht des Marktes handeln als um einen Markt unter Aufsicht des Staates."

Nur eine ironische Sprache kann helfen damit zurecht zu kommen, dass in unserer ambivalenten und komplexen Welt nichts nur das ist, was es scheint und dass sich Widersprüche nie endgültig lösen oder regeln lassen. Die Ironie ist aber kein Zynismus, der als enttäuschter Moralismus mit der Welt ernst machen will. Der Zynismus spricht verkürzt in Parolen wie: Nach uns die Sintflut; Jeder sich selbst der Nächste; Geiz ist ... oder Daham statt ...; Diese maßlose Sprache will buchstäblich genommen werden und ist im Politischen brandgefährlich.

Mich wundert, dass ich so fröhlich bin

Ein Dialog Platons nimmt durch seine reiche Rezeptionsgeschichte in der Literatur eine Sonderstellung ein, der Phaidon. In ihm werden Sterben, Tod und die Möglichkeit der Unsterblichkeit der Seele am Beispiel der Hinrichtung des Sokrates thematisiert. Dieser wird als Ironiker, wegen angeblicher Gottlosigkeit und als Verführer der Jugend zum Tode verurteilt. Er muss den Schierlingsbecher trinken. Er scheidet, da er sowohl die angebotene Verbannung als auch die ihm mögliche Flucht ausgeschlagen hat, freiwillig aus dem Leben. Suizidbefürworter und -gegner berufen sich seit mehr als zweitausend Jahren gleichermaßen auf ihn.

Was aber tut Sokrates, der Schelm, Kobold, Verwirrer der Dogmatiker und Leichtgläubigen ganz am Ende seines Lebens? Er setzt eine ultimative Pointe. Es ist bezeichnend, dass diese von vielen gar nicht verstanden wird. Bevor er sein Antlitz verhüllt, damit die Anwesenden Freunde die Zuckungen seines Todeskampfes nicht mit ansehen müssen (denn das in der Schierlingspflanze enthaltene toxische Alkaloid Coniin verursacht Spasmen und führt zum Ersticken bei vollem Bewusstsein, an einer Lähmung der Brustmuskulatur) fordert er seinen Schüler auf, dem Gott der Heilung, Äskulap, einen Hahn zu opfern.

Kleingläubige sehen darin die eine Geste als reuevolle Rückbesinnung des Allesbezweiflers an die gegebene spirituelle Tradition. So klingt der Dialog mit versöhnlich religiösem Pathos aus.

Das kann nicht im Sinne Sokrates gewesen sein, der doch vielmehr voller Ironie auf die Sinnlosigkeit dieses Opfers hinweist, da ihm ja kein Gott mehr helfen kann. Wer es ironisch versteht, fasst diese Aporie als wunderbaren letzten Streich jenes Menschen auf, der zeitlebens alle Besserwisser und Vereinfacher in die symptomatische Verwirrung gestürzt hat, damit sie aus dem durch die Ironie verursachten Chaos ihre enge Perspektive erweitern, um vorurteilsfreier zu werden. (3.9.2015)