München – Bei Alzheimer-Kranken sammeln sich giftige Eiweißklumpen im Gehirn an, die die Nervenzellen schädigen. Als Auslöser für diesen Prozess gelten kleine Eiweißfragmente, die sogenannten Beta-Amyloid-Peptide, die von scherenartigen Enzymen aus einem Vorläufer-Protein herausgeschnitten werden.

Nun gelang einem internationalen Forscherteam um Biochemiker Christian Haass von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) eine fundamentale Entdeckung: "Es gibt einen zweiten Weg, bei dem die scherenartigen Enzyme ein alternatives Eiweiß aus dem Vorläuferprotein herausschneiden", sagt Christian Haass.

Die Forscher gaben dem neu entdeckten Peptid den Namen Amyloid-η (Amyloid-Aeta). "Dieser Weg wurde 30 Jahre lang übersehen, weil sich Wissenschaftler weltweit mit den Entstehungsmechanismen des Beta-Amyloids auseinandergesetzt haben – mit dem Ziel, dessen Produktion zu verhindern und so Alzheimer zu heilen", sagt Christian Haass.

Wechselwirkung entdeckt

Den Wissenschaftlern gelang es, die Funktion des Aeta-Amyloids im Gehirn zu bestimmen: Während verklumptes Beta-Amyloid für Chaos sorgt, weil es Nervenzellen überaktiviert, bremst das Aeta-Amyloid die neuronale Stimulation. "Offenbar haben die zwei kleinen Eiweiße, die aus ein- und demselben Vorläuferprotein herausgeschnitten werden, gegensätzliche Wirkungen, die normalerweise genau austariert sind", sagt Haass.

Den Forschern zufolge könnte diese Entdeckung einen direkten Einfluss auf derzeitige therapeutische Studien am Menschen haben, die sich bislang auf das Beta-Amyloid konzentrieren. So wird aktuell untersucht, ob die medikamentöse Unterdrückung der beta-Sekretase, der kleinen molekularen Scheren, die die Bildung von Beta-Amyloid initiieren, dazu führt, dass sich der Gedächtnisverlust bei Alzheimerpatienten verlangsamt.

Die Forscher haben nun festgestellt, dass die Blockade der beta-Sekretase zwar zu einer Reduktion von Beta-Amyloid führt, aber auch gleichzeitig eine massive Überproduktion von Aeta-Amyloid zur Folge hat. "Damit könnte es zu einer Störung der neuronalen Aktivität und damit der Gehirnfunktion kommen", sagt Haass. Die Münchner Alzheimerforscher raten daher, solche bisher nicht erwarteten Nebenwirkungen in den klinischen Studien genau zu verfolgen. (red, 1.9.2015)