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Watfords Sebastian Prödl (re) im Duell mit Berahino von West Bromwich. In der EM-Quali gegen die Republik Moldau (5. September, Wien) und Schweden (8. September, Solna) droht ihm die Bank.

Foto: Reuters / Matthew Childs

STANDARD: Ist England das Schlaraffenland für einen Fußballer? Worin besteht der größte Unterschied zu Deutschland?

Prödl: Es ist eine andere Welt. Allein schon von den Randerscheinungen her – Meilen statt Kilometer, Pfund statt Euro. Und der Fußball ist wirklich speziell, es geht ganz schnell von Box zu Box. Man hält sich seltener im Mittelfeld auf, ein Match kennt keine Ruhephasen. Du hältst 45 Minuten die Luft an, kommst in der Halbzeit zum Atmen, und dann beginnt es für weitere 45 Minuten von vorn. Die Schiedsrichter pfeifen wenig ab, es geht härter zur Sache als in Deutschland.

STANDARD: Müssen Sie die Position des Innenverteidigers neu interpretieren?

Prödl: Nein. Wir versuchen einen Mix zu finden, auch in Ballbesitz zu bleiben. Das klappt ganz gut.

STANDARD: Beim FC Watford stehen Spieler aus 20 Nationen im Kader. Der Klub gehört dem italienischen Unternehmer Giampaolo Pozzo, Trainer ist der Spanier Enrique Sánchez Flores. Wie läuft da die Kommunikation ab?

Prödl: Englisch ist Hauptsprache, aber es gibt ausreichend Leute im Verein, die mehrere Sprachen beherrschen. Das Umfeld ist äußerst familiär, alle fühlen sich wohl, alle sind integriert. Im Fußball läuft das unproblematisch ab.

STANDARD: Denkt man an Watford, fällt einem Elton John ein. Er war Eigentümer und Präsident, besitzt noch Anteile. Wie präsent ist er?

Prödl: Tut mir leid, ich habe ihn noch nicht gesehen.

STANDARD: Christian Fuchs und Kevin Wimmer haben bei Leicester beziehungsweise Tottenham noch kaum bis gar nicht gespielt. Sie standen immer in der Startformation. Welche Kriterien sind für Sie, vom Geld abgesehen, bei der Klubwahl ausschlaggebend?

Prödl: Da geht es auch ums Bauchgefühl. Wie laufen die Gespräche ab? Finden sie in einer angenehmen Atmosphäre statt? Die Wahl des Ortes ist wichtig, Nordlondon passt eben. Ich bin überzeugt, dass ich beim FC Watford, sollte es einmal nicht so gut laufen, abgefangen werde. Bis jetzt läuft es gut, ich bin fit und mit meinen Leistungen zufrieden. Die Betreuer und Kritiker loben mich. Eine Garantie hast du nirgendwo. Du kannst dich verletzen, dein Vertreter schlägt voll ein. Dann musst du warten, dich hinten anstellen, der Konkurrenzkampf ist enorm. Watford ist für mich die bestmögliche Adresse, um mich auf das Abenteuer Premier League einzulassen. Ich bin überzeugt, dass Fuchs und Wimmer ausreichend Einsätze bekommen. Die Saison ist in England lang und intensiv.

STANDARD: Sie hatten bei Werder Bremen ein hohes Standing, sind nach sieben Jahren trotzdem weggegangen. Warum das Risiko?

Prödl: Als Kind träumte ich davon, in England zu spielen. Ich war ablöse- und verletzungsfrei, das war eine gute Basis für einen Wechsel. In so einer Situation kannst du die Entscheidung selbst treffen. Ich hätte in Bremen verlängern können, das Angebot war sehr gut. Aber ich habe den Schritt raus aus der Komfortzone gesucht, wollte noch einmal Reize setzen. Ich hatte das Gefühl, sollte ich in Deutschland verlängern, besteht die Gefahr, etwas zu versäumen. Die Sehnsucht nach der Premier League musste gestillt werden. Ich muss mich jetzt neu beweisen. Den Engländern ist die deutsche Liga übrigens wurscht, die fragen dich glatt, wie dort das Niveau ist.

STANDARD: Jede Premier-League-Partie ist 13,4 Millionen Euro wert, der TV-Vertrag über drei Jahre garantiert 6,9 Milliarden Euro. Wann ist die Grenze zum Irrsinn überschritten? Macht das Angst?

Prödl: Es ist skurril in England. Die Partien werden zwar an viele Länder verkauft, als Spieler bist du aber abgeschottet von dieser zum Teil verrückten Welt. Du bist in deinem Trainingskomplex, da kommt keiner rein. Einmal in der Woche erscheinen ein Fotograf und ein Kamerateam für ein paar Augenblicke. Du wirst von der Medienwelt und den Fans abgeschirmt. Du machst deinen Job, kannst dich auf die Materie konzentrieren. In Deutschland war alles öffentlich, die Journalisten sind einem nachgerannt.

STANDARD: Der Boulevard wird in England aber mindestens so gefürchtet wie jener in Deutschland.

Prödl: Der Boulevard hat in England eben Pech, er muss mehr erfinden. Aber ich bin meilenweit davon entfernt, für die Yellow Press interessant zu sein.

STANDARD: Watford hat zum Auftakt dreimal Remis gespielt, 2:2 gegen Everton, je 0:0 gegen West Bromwich und Southampton. Was ist der Mannschaft zuzutrauen?

Prödl: Abwarten. Unser Ziel ist, in der Liga zu bleiben. Bisher haben wir eher Punkte verloren. Die großen Kaliber kommen erst, am Samstag gastieren wir bei Manchester City. Eine andere Welt.

STANDARD: Zum Nationalteam. Die EM-Teilnahme in Frankreich ist kaum zu verhindern, obwohl die Spieler das nicht zugeben dürfen. Die Partien daheim gegen die Republik Moldau und in Schweden stehen an. Fakt ist, dass Sie für Teamchef Marcel Koller nur der dritte Innenverteidiger sind. Er präferiert Aleksandar Dragovic und Martin Hinteregger. Schmerzt das?

Prödl: Ich hatte Pech, war vor dem Spiel gegen die USA verletzt. Hinteregger hat das damals sehr gut gemacht. Dragovic ist seit Jahren in bestechender Form. Ich bin bereit, werde meine Chance kriegen und nutzen. Wir haben ein sehr gutes Team, es ist nicht einfach für Koller. Ich fahre immer mit großer Freude zur Nationalmannschaft.

STANDARD: Österreich ist die Nummer 14 in der Weltrangliste. Gibt es noch Luft nach oben?

Prödl: Ranglisten sind nett, aber wir Spieler lassen uns nicht feiern. Wir haben auch nicht geweint, als wir Nummer 70 waren. Platz 14 bringt nichts. Was zählt, sind Teilnahmen an Endrunden.

STANDARD: Sie haben bis 2020 bei Watford unterschrieben, dann sind Sie 33. Was kommt danach?

Prödl: Das beschäftigt mich nicht. Ich werde mich vermutlich fragen, wie groß die Lust noch ist. Ich will als gesunder Mensch aufhören. Mein Zugang zum Fußball ist jetzt schon ein anderer. Ich lasse mich durch äußere Umstände nicht beirren, bin abgeklärter und in der Lage, Emotionen in die Schublade zu stecken. Ich weiß, dass der Cupsieg mit Bremen der einzige Titel gewesen sein könnte. Als sich die Tür nach Deutschland öffnete, habe ich mir nicht gedacht, ich will lieber mit Sturm Graz österreichischer Meister werden. Vielleich bin ich deshalb in der Premier League gelandet. (Christian Hackl, 29.8.2015)