Korneuburg – "Wissen Sie, wie viel Platz jeder Flüchtling hatte?", fragt Helmut Neumar, der Vorsitzende des Schöffensenats, den Angeklagten – und hält dann zwei Din-A4-Blätter nebeneinander in die Luft. Der Angesprochene, ein 51-jähriger Bulgare, schweigt.

Am 14. Juli wurde der Mann mit seinem Kleintransporter auf der Ostautobahn gestoppt. Als die Polizisten die Tür zum Laderaum öffneten, fanden sie dort auf acht Quadratmetern 24 Männer, zwölf Frauen und 18 Kinder zusammengepfercht. Insgesamt also 54 Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.

"Das ist ärger als jeder Viehtransport", empört sich Neumar. Und liest aus den Akten Aussagen der Flüchtlinge vor. Stundenlang sei man ohne Pause in dem heißen und stickigen Gefährt unterwegs gewesen. Manche haben ihre Notdurft während der Fahrt verrichtet, einer hat Fensterputzmittel, das er im Inneren gefunden hatte, getrunken, da es kein Wasser gab. Von Schlägen und Tritten ist die Rede.

Gepäcktransport versprochen

Faktisch bekennt sich der Angeklagte schuldig – stellt sich aber selbst eher als Opfer dar. Er sei zuletzt arbeitslos gewesen, in seiner Heimat sei er von einem Mann angesprochen worden, der ihm "viel Arbeit" in Ungarn versprach. Es sollte um Gepäcktransport gehen, behauptet der Angeklagte.

In Budapest traf er einen anderen Mann, der ihn schließlich zum Kastenwagen führte und zu einem Waldstück dirigierte. "Das war offenbar eine Falle", sagt der Angeklagte, denn erst dort habe er erkannt, dass er Flüchtlinge nach Regensburg transportieren sollte.

Dass es so viele seien, habe er nicht gewusst: "Ich habe gedacht, es sind neun bis zehn." Bei seiner Vernehmung durch die Polizei hatte er noch anders ausgesagt: Er habe in den Rückspiegel geschaut und gesehen, dass "sehr viele Leute" einstiegen.

Nun behauptet er, er habe nur erkannt, dass es Menschen sind. "Sie haben ja schon eine gewisse Lebenserfahrung. Und da merkt man schon, wie sehr sich das Auto absenkt und wie lange es dauert, bis alle eingestiegen sind", glaubt ihm der Vorsitzende nicht.

300 Euro Lohn, 200 Euro Fahrtkosten

300 Euro Lohn und 200 Euro Fahrtkosten habe er verlangt und bekommen. "Da haben Sie sich eh schnell angepasst, wenn Sie vorher nicht wussten, dass es um Schlepperei geht", hält ihm Neumar vor. "Ich hatte keine Wahl, ich hatte ja keinen Groschen, und meine Frau ist krank", redet sich der Angeklagte heraus.

Nach einer halben Stunde klopfte es laut gegen die Kabinenwand, der Angeklagte hielt auf dem Pannenstreifen. Seine Beifahrer seien ausgestiegen und hätten nachgeschaut und dann eine bewusstlose Frau aus dem Inneren gehoben.

"Sie haben es nicht für wert empfunden, Ihren Allerwertesten zu heben und selbst nachzusehen?", fragt Neumar mit kaum unterdrücktem Zorn. "Ich hatte Angst", hört er. "Kennen Sie die Statuen von den drei Affen? Die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen?", kann sich der Vorsitzende nicht verkneifen. Kennt der Angeklagte nicht.

Er habe dann einem Beifahrer Mund-zu-Mund-Beatmung aufgetragen, die Frau kam wieder zu sich. Dass auch ein junger Mann wegen Sauerstoffmangels ohnmächtig geworden ist, will er nicht bemerkt haben. Ebenso wenig, dass die Flüchtlinge in ihrer Verzweiflung schon die Dichtungen herausgerissen hatten, um Luft zu bekommen.

Zwölf Flaschen Wasser für 54 Menschen

Zugute hält er sich, anschließend an einer Raststätte gehalten zu haben, wo zwölf Flaschen Wasser gekauft wurden. "Und dann haben wir die Tür zugemacht und sind munter weitergefahren?", ist Neumar fassungslos. "Das war nicht ich, das war einer der Begleiter." Erst in Österreich wurden sie gestoppt.

"Machen Sie für 500 Euro eigentlich alles, was man Ihnen anschafft?", bohrt der Vorsitzende nach. "Nein." – "Haben Sie gestern ferngesehen?" – "Ja." – "Wissen Sie, was passiert ist?" – "Ich habe mitbekommen, dass es einen Unfall oder Mord an Flüchtlingen gegeben hat." – "Bei Ihnen war es nur Zufall oder Glück, dass es keine Toten gab." – "Ich danke Gott dafür."

Staatsanwalt Lambert Schöfmann fordert in seinem sachlichen Schlussplädoyer aus generalpräventiven Gründen eine harte Strafe. "Wir haben mittlerweile wöchentlich solche Verhandlungen, die Gewinnmaximierungssucht der Schlepper kennt keine Grenzen mehr." Er gesteht zwar zu, dass die Fahrer die Letzten in der Kette sind und auch ausgenützt werden – aber nur durch strenge Ahndung könne man verhindern, dass sich die Menschen ausnützen lassen.

"Wir werden nichts ändern"

Der Verteidiger hält das zwar grundsätzlich für überlegenswert. Allerdings: "Wir werden nichts ändern. Wenn es er nicht macht, macht es ein anderer", ist er überzeugt.

Nach kurzer Beratung verhängt der Senat über den Unbescholtenen rechtskräftig drei Jahre unbedingte Haft. Der Strafrahmen beträgt ein bis zehn Jahre – aber man dürfe ihn nicht für etwas abstrafen, für das er nichts könne, nimmt Neumar in der Begründung auf die aktuelle Katastrophe Bezug. (Michael Möseneder, 28.8.2015)