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Flüchtlinge am Dienstag in einem Park nahe dem Hauptbahnhof in Belgrad. Von dort aus wollen sie möglichst bald weiter nach Nord- oder Westeuropa.

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Syrische Flüchtlinge an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn am Freitag.

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STANDARD: Etwa 3.000 Flüchtlinge kommen täglich nach Serbien. Woher kommen diese Menschen?

Hans Friedrich Schodder: Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Serbien kommen aus Syrien, manche direkt, und manche haben zuvor eine gewisse Zeit im Libanon und in der Türkei verbracht. Etwa ein Viertel kommt aus Afghanistan und rund zehn Prozent aus dem Irak. Eine viel kleinere Anzahl kommt aus anderen sogenannten flüchtlingsproduzierenden Staaten wie Somalia und Eritrea. Über 90 Prozent dieser Menschen sind Flüchtlinge und würden in einem ordentlichen Flüchtlingsverfahren das Recht auf Asyl bekommen.

STANDARD: Weshalb wählen Flüchtlinge gerade jetzt verstärkt die Balkanroute?

Schodder: Die Anzahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute ist in letzter Zeit größer geworden, vor allem weil sie sicherer ist für Syrer als zum Beispiel die Route über Libyen und das Mittelmeer. Die Entfernung zwischen der Türkei und Griechenland ist verhältnismäßig gering, und dann können sie über Mazedonien, Serbien und Ungarn direkt weiterziehen nach Nord- oder Westeuropa, wo ihre Verwandten und Bekannten auf sie warten.

STANDARD: Wie viele Flüchtlinge gibt es in der Region?

Schodder: Laut offizieller Statistik sind in Serbien seit Jahresbeginn 96.000 Flüchtlinge registriert worden, dazuzählen sollte man schätzungsweise noch rund 50 Prozent, die sich nicht von der serbischen Polizei registrieren ließen. Das entspricht in etwa der Anzahl der Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn nach Griechenland und Mazedonien gekommen sind, die meisten davon im Juni, Juli und August. Ein Großteil von ihnen hält sich möglichst kurz in Serbien auf.

STANDARD: Wie sind die Zustände, unter denen die Flüchtlinge aufgenommen werden? Könnte die derzeitige Flüchtlingsbewegung Auswirkungen auf die Stabilität in wirtschaftlich schwachen Ländern wie Mazedonien und Serbien haben?

Schodder: Die serbische Regierung hat sehr früh und aktiv reagiert. Sie hat die Grenzen Serbiens nicht zugemacht und sich darum gekümmert, dass Flüchtlinge ordentlich versorgt werden, soweit das möglich ist in einem Land, das auch von der Weltwirtschaftskrise geschwächt wird. Es gab bisher keine größeren Probleme in Serbien, aber das Land braucht unbedingt mehr Hilfe, um Flüchtlinge weiter human versorgen zu können, besonders wenn der Winter einbricht. Zusätzlich wird in Belgrad befürchtet, dass sich die Lage schnell destabilisieren könnte, falls zu viele Flüchtlinge in Serbien steckenbleiben, zum Beispiel wenn Ungarn seine Grenzen vollkommen schließt. In Mazedonien ist diese Gefahr noch größer, weil das Land kleiner ist. In Belgrad betrachtet man das völlig richtig als ein europäisches Problem.

STANDARD: Was sollte die EU tun?

Schodder: Die EU sollte ein funktionierendes gemeinsames Asylsystem einführen, aufgrund dessen die Verantwortung fair auf alle EU-Staaten verteilt würde. Die Flüchtlinge sollten die Möglichkeit haben, vernünftig registriert zu werden, wenn sie erstmals den EU-Raum betreten, wie zum Beispiel in Griechenland, um dann legal weiter in die EU reisen zu können. Für europäische Länder wäre es sicher einfacher, Flüchtlinge zu integrieren, wenn sie ein Ziel erreichen, wo ihnen Familie und Freunde bei der Integration helfen können. Das sollte man ihnen ermöglichen. Gleichzeitig müssen auch Transitländer wie Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Serbien und Ungarn mehr Flüchtlingen permanenteren Schutz und Integration bieten.

STANDARD: Derzeit drücken wohl in der Praxis griechische, mazedonische und serbischen Grenzpolizisten beide Augen zu, wenn Flüchtlinge illegal ihre Länder in einer möglichst großen Zahl verlassen.

Schodder: Das ist momentan der Fall. Es ist tragisch, dass Flüchtlinge die Grenzen nicht legal übertreten können und deswegen in die Hände von Schlepperbanden und Kriminellen geraten. Das sollte im Europa des 21. Jahrhunderts nicht der Fall sein. Deshalb setzt sich das UNHCR dafür ein, dass Flüchtlinge legal reisen können.

STANDARD: Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie als Lösung sehen, baut Ungarn einen 175 Kilometer langen und 3,5 Meter hohen Zaun entlang der Grenze zu Serbien. Welche Folgen könnte das haben?

Schodder: Eine der Folgen könnte sein, dass Flüchtlinge in einer noch größeren Anzahl von Schlepperbanden und Kriminellen ausgebeutet werden, wenn Ungarn seine Grenzen dichtmacht. Etwas Besseres könnte den Schlepperbanden gar nicht passieren. Ungarn hat allerdings internationale Verpflichtungen, Flüchtlinge in einem ordentlichen Asylverfahren aufzunehmen und zu registrieren, und diese Verpflichtungen werden mit dem Zaun nicht verschwinden.

STANDARD: Was ist so besonders an der Lage auf dem Balkan?

Schodder: Auf dem Balkan haben wir die Situation, dass die Flüchtlinge aus dem EU-Land Griechenland über Mazedonien und Serbien, die keine EU-Mitglieder sind, in das EU-Land Ungarn und somit in die Schengenzone ziehen, und das alles illegal. Das sollte nicht illegal passieren, denn Flüchtlinge haben ein Recht auf effektiven Schutz, und wenn ihnen ein Land diesen Schutz nicht gewähren kann, haben sie das Recht, es in einem anderen Land zu suchen. Aufgrund der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg und der Gutachten des UNHCR sind momentan weder Griechenland noch Mazedonien und Serbien in der Lage, Flüchtlingen effektiven Schutz zu bieten. Hier geht es nicht um Zahlen, sondern um konkretes menschliches Leid, und europäische und nationale Politik sollte dieses Leid mindern und es nicht mehren. (Andrej Ivanji, 28.8.2015)