Der Winter steht in der Ukraine in einem Monat vor der Tür, doch das zweitgrößte Flächenland Europas hat sich angesichts klammer Kassen in den vergangenen Monaten nicht wie sonst üblich auf die Heizsaison 2015/2016 vorbereiten können. Der EU-Kommissar für Energie und Klimaschutz, Miguel Arias Cañete, sprach vergangene Woche vor Journalisten aus, was die meisten ukrainischen Politiker nur hinter vorgehaltener Hand sagen: "Der Ukraine fehlen derzeit 5,5 Milliarden Kubikmeter Gas." Ohne diesen Vorrat kommt das Land nicht durch den Winter.

An den derzeit in Wien laufenden Gas-Gesprächen nehmen neben Russland und der Ukraine auch Vertreter der EU und der US-Regierung teil. Russland hatte Ende Juni die Erdgas-Lieferungen an seinen Nachbarn komplett eingestellt, weil man sich über die Bezahlung aktueller Lieferungen und der Rückzahlung alter Schulden nicht einig geworden war. Monatelang war unter Führung der EU-Kommission um einen Kompromiss gefeilscht worden, doch am Ende hatte Gazprom-Chef Alexej Miller die Gespräche für beendet erklärt.

Eigentlich hätten in den Sommermonaten die unterirdischen Speicher gefüllt werden sollen. Selbst wenn es in Wien oder in den nächsten Wochen zu einer schnellen Lösung kommt, wird die Zeit knapp. Es dauert, bis die Speicher voll sind, und die Verteilungsstellen in der Ukraine gleichmäßig arbeiten können.

Notfallpläne

In Kiew hat man bereits Notfallpläne veröffentlicht. Demnach werden große Teile der Bevölkerung ihre Wohnung nicht wärmer als 16 Grad heizen können. "Der Brennstoff ist derzeit noch gar nicht da, und wenn er kommt, muss erst sortiert werden", schreibt die Tageszeitung Komsomolskaya Prawda. Ministerpräsident Arsenji Jazenjuk hatte seinen Landsleuten bereits vor einigen Wochen ans Herz gelegt, doch bitte Dämmplatten an Häuserwände anzubringen und Fenster gegen Wärmeverlust abzudichten.

Der Stromkonzern Ukrenergo veröffentlichte am Mittwoch einen Plan gegen Stromausfall. Nicht nur Gas, sondern auch Kohle ist in der Ukraine knapp. Eigentlich kaum zu glauben, weil im Osten des Landes Kohlevorräte lagern, die erst in 500 Jahren ausgebeutet sein sollen. Auf der Homepage gibt Ukrenergo bekannt, dass heuer mindestens zwei Millionen Tonnen Kohle fehlen werden. "Derzeit haben wir bloß 2,7 Tonnen auf Lager", schreibt das Unternehmen.

Vor allem die ländlichen Regionen und die Schlafstädte der Metropolen Kiew, Charkiw und Dnipropetrowsk werden auch in diesem Winter nur stundenweise Strom haben. Was sich im vergangenen Jahr bereits mehrfach in der Woche abspielte, wird den leidgeprüften Ukrainern auch in diesem Winter abverlangt. (Nina Jeglinski aus Kiew, 28.8.2015)