Wie fotografiert man Bewegung? Die Fotografin Charlotte Rudolph entschied sich bei ihrem Tanzbild "Palucca" (1928) fürs Einfrieren.

Foto: Bildrecht, Wien 2015, Fotosammlung Albertina

Wien – Lange hatte sich die britische Künstlerin Julia Margret Cameron (1815-1879) danach gesehnt, alle Schönheit, die ihr vor Augen kam, "dingfest" zu machen. "Wasser auf den trockenen Lippen der Ausgehungerten" sah sie schließlich, als der britische Astronom Sir John Herschel (1792-1871) sie in den 1860er-Jahren mit einer blutjungen, aber vielversprechenden Technologie bekanntmachte: der Fotografie.

Vom langjährigen Freund Herschel fertigte Cameron 1867 dann eines ihrer berückendsten Porträts an – ein auch schon für seine Zeit außergewöhnliches. Denn: Man würde nicht unbedingt erraten, dass einem hier ein bedeutender Wissenschafter entgegenblickt. Cameron, nicht auf Repräsentation aus, bildete ihren Weggefährten ohne jede Referenz auf die akademische Welt ab. Vor allem aber münzte sie die Widrigkeiten der neuen Technik – etwa die lange Belichtungszeit und daraus resultierende, gespensterhafte Unschärfen – auf eine Darstellung der "inneren Größe" Herschels.

Eine Möglichkeit, Camerons Sir John Herschel in die Augen zu schauen, bietet sich derzeit in der Albertina. Mit 110 Arbeiten gibt die Ausstellung Black & White Einblick in die umfassenden Bestände der Fotoabteilung.

Gegründet 1999, umfasst diese nicht nur den bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichenden historischen Altbestand der Albertina, sondern außerdem diverse Dauerleihgaben, etwa jene der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt. Insgesamt sind es rund 100.000 Fotografien, die Kurator Walter Moser vor die Qual der Wahl stellten. Für die erste Ausstellung einer Reihe zu Highlights der Fotosammlung entschied er sich, bedeutende Strömungen zu umreißen.

Boulevard auf Silberplatte

Julia Margret Cameron, die "wie eine Malerin" fotografierte, ist dort neben Heinrich Kühn oder Rudolf Koppitz als Vertreterin des Piktorialismus zu sehen: einer Strömung, die die Fotografie als Erweiterung der Malerei begriff, nicht als deren Überwinderin.

Erfunden offiziell 1839 – als es dem Franzosen Louis Daguerre gelang, das Abbild eines Pariser Boulevards auf eine Silberplatte zu bannen – wurde die neue Technik nämlich vor allem für eines begrüßt: Sie ermöglichte Bilder, die man, im Gegensatz zu gezeichneten oder gemalten, für vom Menschen unverfälscht halten konnte.

Den technischen, optisch-chemischen Verfahren, die sich in Folge der sogenannten "Daguerreotypie" entwickelten, traute man aufrichtigere, wahrere Darstellungen zu als der zeitgenössischen bildenden Kunst.

Und so war eine der ersten Aufgaben, für die man das neue Reproduktionsmedium einspannte, denn auch die großangelegte Katalogisierung der Lebenswelt. In Wien war es ein Setzer und Korrektor der k. u. k. Hof- und Staatsdruckerei, Paul Pretsch, der sich an der Aufgabe versuchte, die Stadt und das Treiben darin möglichst auf Strich und Komma fotografisch einzukasteln.

Dokumentarische Fotos aus dieser Zeit, als von Google Earth noch keine Rede war, stehen am Beginn von Black & White dem Piktorialismus gegenüber. Von dort ausgehend zeichnet die Schau in groben Zügen den "Selbstfindungsprozess" der Fotografie nach, führt hin zu Neuer Sachlichkeit und Street-Photography. Überraschende Seitenblicke ergeben sich indes durch die Einbindung japanischer Fotografen – etwa Masahisa Fukases rätselhaft-animalische Bilder von Vögeln.

Bemerkenswert vorausweisend auf eine Zeit, die an Fotografien wesentlich stärkere Zweifel haben sollte, erscheint indes die Arbeit Metamorphosen des Schweizer Fotografen Helmar Lerski: Man glaubt, die Porträts verschiedener Personen zu sehen. In Wahrheit fotografierte Lerski allerdings das immergleiche Antlitz im neuem Licht. (Roman Gerold, 27.8.2015)