Eine 35-jährige Anwältin aus Syrien sieht ihren Kindern im Garten des Bärenwirts beim Spielen zu.

Foto: Gerhard Maurer

In der Gaststube surft ein Syrer im Internet.

Foto: Gerhard Maurer

Weitensfeld – In der alten Gaststube vom Bärenwirt steht eine kleine Familie. Der Vater trägt Vollbart, die Mutter ein hellblau-gelbes Kopftuch. Sie hält ein Baby. Sie stehen immer hier. "Die Leute fragen oft, ob wir spinnen, weil ja nicht Weihnachten ist", sagt die Wirtin Elisabeth Steiner, "aber ich sage ihnen: Herbergssuche ist das ganze Jahr." Die Namen der drei Statuen: Josef, Maria und Jesus.

Die ehemalige STANDARD-Redakteurin Elisabeth Steiner hat das Wirtshaus im Gurktaler Weitensfeld von ihren Eltern geerbt. Sie war wesentlich am Aufdecken der Zustände im Flüchtlingsheim auf der Kärntner Saualm beteiligt, heute sagt sie: "Wir machen hier die Anti-Saualm. Und die Leute im Ort sind sehr hilfsbereit."

Während des Gesprächs füllt sich die Gaststube, wo die Ausschank steht, mit Gästen, es ist Mittagszeit. Man kann zwischen Kärntner Nudeln, Bohnengulasch und syrischen Gerichten wählen.

In zwei weiteren Gaststuben sitzen Flüchtlinge aus Syrien, surfen im Internet, schauen fern oder unterhalten sich. Zwischen den Räumen flitzen auf Kniehöhe zwei syrische Kinder und ein Kärntner Bub hin und her. Sie spielen Verstecken. Ohne Worte, aber mit sehr viel Spaß.

"Wie zu Hause vor dem Krieg"

Vor drei Wochen kamen die Eltern der Kinder aus Syrien an. Die Mutter, eine 35-jährige Anwältin, und ihr Mann, ein Lehrer, haben die zweimonatige Flucht, auf der sie die Kinder hunderte Kilometer trugen und auf einem unsicheren Boot fuhren, überstanden. "Alle sind so freundlich hier, alle spielen mit den Kindern", erzählt die Frau.

Wie Christen, Muslime, Kurden und Araber aus Syrien hier miteinander auskämen? "Sehr gut", betont sie, "wie eine Familie, wie zu Hause vor dem Krieg." Die aus Homs stammende Juristin ist derzeit die einzige Frau unter den 20 Asylwerbern.

Eine Frau bekam hier ihr Baby. Weil sie allein war, fuhr Steiner mit zur Geburt ins Spital. "Der Moment, wo ich die Nabelschnur durchtrennt habe, das war ein Wahnsinn, ein Gefühl von Neubeginn und einfach von Leben", sagt Steiner mit glänzenden Augen. Das neugeborene Mädchen und seine Mutter sind mittlerweile privat in Wien untergekommen.

Am Stammtisch haben neben dem Fotografen Manfred Schusser, der kostenlose Fotoworkshops mit den Flüchtlingen macht, mittlerweile zwei Deutschlehrer aus dem Ort, die – ebenfalls gratis – Deutschkurse anbieten, und der Bürgermeister Franz Sabitzer (ÖVP) Platz genommen.

Der andere Stammtisch

Der Bürgermeister der 2.128-Einwohner-Gemeinde, ein resoluter Unternehmer und Familienvater, ist zufrieden mit der Entwicklung im Bärenwirt und betont, dass man "die Unterstützung im Gemeinderat einstimmig beschlossen" habe. "Gewisse Gruppierungen sind halt immer zuerst einmal dagegen", räumt er ein, "aber seit den Gemeinderatswahlen is a Ruh." Und auch sein Amtskollege aus der Nachbargemeinde Gurk habe erst neulich darauf gepocht, dass alle ihre Flüchtlingsquote erfüllen müssen, erzählt Sabitzer, "mit dem kann man gut reden". Mit Siegfried Kampl? Dem 78-jährigen Ex-FPÖ-Bundesrat, der außerhalb Kärntens wegen seiner Aussagen zur NS-Zeit bekannt ist?

"Der Sigi", so der allgemeine Tenor am Tisch, "spinnt halt bei solche Sachen". Aber gegen Flüchtlinge habe der nichts.

Die Flüchtlinge sind vielen hier Freunde geworden. Bei den Workshops sei er mit den jungen Männern auf den Berg gegangen, erzählt der Fotograf, "die sind herumgehupft wie Kinder, so haben sie sich gefreut". "Wir waren auch wandern mit ihnen", erzählt der pensionierte Deutschlehrer Dieter Hölbling-Gauster, "da haben wir mit Margeriten die Sätze 'Sie liebt mich, sie liebt mich nicht' geübt".

Einen Lieblingsschüler habe man auch: den Chemiestudenten Omar, der in neun Monaten fast perfekt Deutsch lernte und mittlerweile für die anderen dolmetscht. Der Mann geht mit einem Schulheft unterm Arm durch die Gaststube. "Bei einem anderen sind wir draufgekommen, dass er Analphabet ist, da tust dir dann schon schwer", sagt der Lehrer, aber mit einem Buch mit Bildern wusste man sich zu helfen.

Mittlerweile ist es Nachmittag, Zeit für den Kaffee. Omar hat sich dazugesetzt, eine 41-jährige Köchin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, auch.

"Zehn geheime Gewürze"

Sie schwärmt von der syrischen Küche, die sie ein Koch aus Syrien hier gelehrt habe: "Mein Highlight ist das syrische Essen, dagegen kommt mir die österreichische Küche jetzt schon sehr fad vor." Ein Einheimischer ermahnt sie: "Aber net, dass das jetzt in der Zeitung steht, wir wollen ja die Österreicher net beleidigen." Aber das Rezept für die Hühnerkeulen hätte er wirklich gern. "Sicher net", so die Köchin, "zehn Gewürze – welche, ist mein Geheimnis."

Omar ist plötzlich ernst. Er starrt auf sein Handy, zeigt es in die Runde: Eine Explosion in seiner vom IS kontrollierten Heimatstadt ist zu sehen. "Das ist jetzt", sagt Omar, "meine Frau ist noch dort." Bald soll sie nachkommen. (Colette M. Schmidt, 27.8.2015)