China stampfte innerhalb weniger Jahre den größten Automobilmarkt der Welt aus dem Boden. Doch die Zeiten, in denen die Branche von zweistelligen Zuwachsraten verwöhnt wurde, sind vorerst vorbei.

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Die Autoindustrie gerät unter die Räder der chinesischen Krise. Die Börsen sind auf Talfahrt, die sich am Dienstag mit Verlusten von fast acht Prozent fortsetzte. Dazu kommen flaues Wachstum, Fahrverbote und Zulassungsbeschränkungen für Pkws in Chinas Metropolen. Alle Einflüsse in Summe würgen den über lange Zeit stärksten Motor der chinesischen Konjunktur rascher ab als erwartet.

Autohersteller, deren Umsätze zweistellig einbrechen, und Händler, die im ersten Halbjahr zu 90 Prozent Verluste machten, verlangen erstmals Eingriffe des Staates, meldete das Magazin China Automotive News. Es erscheint im Parteiverlag der Volkszeitung. Seine alarmierte Überschrift: "Der Ruf wird wieder laut: Die Politik soll den Markt retten."

Verwöhnte Autobauer

Jahrelang waren Chinas Autohersteller von zweistelligen Zuwachsraten verwöhnt. Sie stampften daraufhin gigantische Überkapazitäten und den größten Automarkt der Welt aus dem Boden. Doch seit Sommer fallen die Produktions- und Absatzzahlen.

Nach Angaben des Branchenverbandes Caam wurden im Juli 1,5 Millionen Autos produziert, fast 18 Prozent weniger als im Juni und zwölf Prozent weniger als im Vorjahresmonat. 1,5 Millionen Wagen wurden verkauft, fast 17 Prozent weniger als im Juni und sieben Prozent weniger als im Jahr zuvor. Der Verband senkte seine Prognose für den Umsatz 2015 auf nur noch drei Prozent Zuwachs. Einbußen im gleichen Ausmaß gab es zuletzt zwischen November 2008 und Jänner 2009 – nach Ausbruch der Weltfinanzkrise.

Peking reagierte damals sofort. Der Staat senkte die Steuerabgaben für Wagen unter 1,6 Liter Hubraum. Es war Teil einer enormen Vier-Billionen-Yuan-Investitionsspritze in Chinas Wirtschaft, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Die Rechnung ging für die Autoindustrie auf. Sie konnte neu durchstarten, allen voran Volkswagen, der rechtzeitig auf kleinere Modelle umgesattelt hatte. In seinem Windschatten gaben auch Premiumhersteller Gas, deren Klientel sich unsubventionierte Wagen leisten konnte.

Der Ruf nach dem Retter Staat ertönt mit Blick auf die gesamte Branche. Bis auf Mercedes, der noch auf der Überholspur fährt, mussten alle Autohersteller abrupt abbremsen. Audi und BMW schreiben erstmals Minuszahlen. Mehr als die Hälfte der großen Autokonzerne verfehlten im Juli ihre Mittelfristziele, meldet der chinesische Kammerverband für Autohändler. Er warnt, dass fast 90 Prozent der Händler im ersten Halbjahr rote Zahlen schrieben. 30 Prozent von ihnen seien von Bankrott bedroht.

Staatliche Eingriffe

Der Pkw-Automarkt-Informationsdienst wirbt nach Angaben der Automotive News für staatliche Eingriffe – von Subventionen für energiesparende Autos bis zur Finanzierung zinsgünstiger Kredite. Pekings Währungsabwertung helfe chinesischen Autoherstellern.

In der Debatte melden sich aber auch Gegner zu Wort. Der Markt sei mit mehr als 20 Millionen verkauften Fahrzeugen pro Jahr viel zu groß, um staatliche Eingriffe zu vertragen, die den Wettbewerb verzerren und die Unternehmen abhängig machen. Man brauche anstelle der Staatssubventionen mehr Marktmechanismen, so ihr Tenor.

So sieht das auch Mercedes. Der Konzern zeigt sich ungeachtet des maroden Marktes sicher, in Chinas Premiumsegment erfolgreich zu bestehen. Montagabend nach dem Schanghaier Börsencrash ließ Chinachef Hubertus Troska in Peking das Zehn-Jahr-Jubiläum des Joint Venture zwischen Daimler und den Pekinger Automobilwerken feiern. "Wir sind zuversichtlich, 2015 unser Ziel zu erreichen, mehr als 300.000 Mercedes-Benz-Pkws in China zu verkaufen."

62 Prozent der Fahrzeuge würden lokal produziert, darunter die C-Klasse, der GLA oder Kompaktwagen. Neue Modelle, deutlich mehr Händler und lokale Fertigung hätten bewirkt, dass Mercedes besser aufgestellt sei als andere, glaubt Troska. Daimler steigerte den China-Umsatz von Jänner bis Juli um 22 Prozent. Der bisherige Marktführer BMW lag zuletzt ebenso wie Audi im Minus.

Fallende Börsenkurse

Doch der Markt wird für die Stuttgarter härter. Nicht zuletzt auch im Zuge der Talfahrt der Börsen. Nach einer Stabilisierung der Aktienmärkte sieht es nicht aus. Im Gegenteil: Bei den Turbulenzen habe Chinas Mittelschicht bis Mitte August riesige Summen verloren, berichtet Automotive News China unter Berufung auf Pekinger Wertpapieranalysten.

Untersucht wurde das Aktienvermögen der Anleger. Der Fall der Kurse von Juni bis Ende Juli schockte die Gruppe der Anleger mit 70.000-Euro-Depots: Sie sank um 24 Prozent auf 3,2 Millionen. Die Zahl der Investoren mit doppelt so großen Depots fiel um 28 Prozent auf 1,4 Millionen Anleger. Der Mittelstand ist Hauptkunde der globalen Autoindustrie. Viele Anleger wollten sich für ihre Gewinne einen neuen Pkw oder Premiumwagen anschaffen. Die Lust darauf dürfte ihnen noch nicht vergangen sein, wohl aber das Geld dazu. (Johnny Erling aus Peking, 26.8.2015)