Schwedens Tageszeitungen sehen sich mit dem Vorwurf der "Lügenpresse" konfrontiert.

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"Frisieren" Schwedens Medien die Wahrheit, vor allem beim sensiblen Thema Migration? Die Diskussion dieser Frage war bislang einschlägigen Foren im Internet vorbehalten. Jetzt ist sie zum Leitartikel-Thema der größten Zeitungen aufgestiegen.

Anlass ist der Mord an zwei, offenbar willkürlich ausgewählten, Einheimischen in einer Ikea-Filiale im mittelschwedischen Västerås vor zwei Wochen; die Tat gestanden hat ein Mann aus Eritrea, dessen Asylantrag kurz zuvor abgelehnt worden war. Entgegen der üblichen Praxis bei Kriminalfällen hatten die etablierten Medien zwar rasch über die Herkunft des mutmaßlichen Mörders berichtet, nachdem die Polizei diese unter dem Druck der Öffentlichkeit früh bekanntgegeben hatte. Informationen zu Einzelheiten und Hintergründen der Tat suchten viele Schweden aber an anderer Stelle.

Hetzplattformen

Die Gerüchteküche in Foren wie Flashback und auf Hetzplattformen wie Avpixlat, Nyheter Idag und Fria Tider brodelte; in sozialen Medien erzielten die Websites laut dem Medienmagazin Resumé insgesamt größere Reichweiten als das Zweiergespann der Internetseiten von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Fernsehen, SR und SVT.

Die Überzeugung, Schwedens traditionelle Medien unterschlügen "als Handlanger des Etablissements" missliebige Fakten, sei inzwischen so weit verbreitet, dass man sie nicht mehr als Hirngespinst eines Häufleins Verwirrter abtun könne, konstatiert der Kommunikationsexperte Anders Mildner in Svenska Dagbladet. Erschüttert zeigt sich Oisín Cantwell von Aftonbladet. Nie zuvor habe er dergleichen erlebt, so Cantwell über einen Nachrichtenartikel, in dem Aftonbladet beteuert, keine Fakten vertuscht und nichts als die Wahrheit berichtet zu haben: "Das ist, als würde man melden: Das Wasser ist nass."

Um Wahrheit bemüht

Und Dagens Nyheter schickte seinen Chefredakteur ins Rennen – er könne bezeugen, dass seine Redaktion stets um wahrheitsgemäßes Berichten bemüht sei, heißt es in dem von Peter Wolodarski signierten Leitartikel.

Angesichts wachsenden Zuspruchs für Medien, die sich um Presseethik nicht scherten, sei eine Einschränkung der Pressefreiheit künftig nicht auszuschließen, argumentiert Wolodarski. Auch der Presse-Ombudsmann Ola Sigvardsson warnt: "Verantwortungsbewusstsein ist Voraussetzung für Meinungs- und Pressefreiheit. Werden diese Freiheiten missbraucht, können sie beschnitten werden." Als Nutznießer der "Lügenpresse" -Vorwürfe erweisen sich unterdessen wieder einmal die einwanderungskritischen Schwedendemokraten.

Mit 17,8 Prozent der Wählersympathien verzeichnen sie laut aktuellen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Sifo neue Rekordwerte. (Anne Rentzsch aus Stockholm, 25.8.2015)