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Deutschlands Vizekanzler Sigmar Gabriel in Heidenau.

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Nach den Auseinandersetzungen vor dem Asylheim in Heidenau wurde das Areal großräumig abgeriegelt.

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Nach der Eskalation rechtsextremer Proteste gegen ein Flüchtlingsheim in einem stillgelegten Baumarkt in der sächsischen Kleinstadt Heidenau verurteilte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Übergriffe am Montag in ungewohnt scharfen Worten. "Es ist abstoßend, wie Rechtsextreme und Neonazis versuchen, rund um eine Flüchtlingseinrichtung ihre dumpfe Hassbotschaft zu verbreiten. Und es ist beschämend, wie Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ihr Mitlaufen diesen Spuk unterstützen", ließ Merkel gestern über Sprecher Steffen Seibert erklären. Zuvor hatte sie sich zu rechten Gewaltexzessen kaum geäußert.

31 Polizisten wurden am Wochenende in Heidenau verletzt, als rund 250 Rechtsextremisten begannen, Flaschen und Steine auf die Einsatzkräfte zu werfen. Zuvor hatten sie versucht, den Weg zum Asylheim, in dem ab Freitag die ersten von 600 Flüchtlingen untergebracht werden sollen, zu blockieren. Am Sonntag errichtete die Polizei eine Schutzzone um das Flüchtlingsheim, doch auch in der Nacht auf Montag kam es zu Zusammenstößen zwischen Rechtsextremen und Gegendemonstranten.

Deutschland lasse nicht zu, dass leidgeprüfte Flüchtlinge in Deutschland "von hasserfüllten Parolen empfangen werden oder von alkoholisierten Schreihälsen bedroht werden". Zuvor hatte bereits Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) die Ereignisse von Heidenau aufs Schärfste verurteilt. Gestern stattete der SPD-Chef dem 16.000-Einwohner-Ort einen Besuch ab. "Man darf diesen Typen, die sich hier in den letzten Tagen ausgebreitet haben, keinen Millimeter Raum geben", sagte Gabriel.

Übergriffe verdreifacht

Schlagzeilen über Proteste und Gewalt gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte und Immigranten reißen in Deutschland nicht ab. Seit dem Winter kommt es immer wieder zu Attacken auf Asylwerberheime, vor allem in Ostdeutschland, aber auch in Bayern und Rheinland-Pfalz. Das Innenministerium registrierte im ersten Halbjahr 173 Übergriffe auf Asylunterkünfte – dreimal so viele wie in der gleichen Periode des Vorjahres. Die Zahl dürfte inzwischen gestiegen sein. Viele Kommunen sind überfordert, die Flüchtlinge werden in Turnhallen, teilweise in Zelten untergebracht. Zwar ist die Solidarität mit den Ankömmlingen bei vielen hoch, doch die Stimmung droht zu kippen. Nach wie vor sind xenophobe Tendenzen vor allem in den neuen Bundesländern im Osten auszumachen. Obwohl nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung dort leben, wurden in Ostdeutschland im Vorjahr 47 Prozent aller rassistischen Gewalttaten registriert.

Eine Beruhigung der Lage zeichnet sich nicht ab – denn vergangene Woche korrigierte Deutschland die erwartete Zahl von Flüchtlingen für dieses Jahr deutlich nach oben. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) rechnet für 2015 mit 800.000 Flüchtlingen in Deutschland. Zuvor war von höchstens 450.000 Menschen ausgegangen worden.

Zehn-Punkte-Plan

Am Sonntag legten Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) einen Zehn-Punkte-Plan zur Bewältigung der Flüchtlingsproblematik vor. Unter anderem fordern die Minister ein "gemeinsames europäisches Grenzmanagement", raschere Rückführungen von abgelehnten Asylwerbern sowie eine Reform des Dublin-Systems, um eine fairere Verteilung der bereits anwesenden Flüchtlinge in Europa zu erreichen. (Christoph Reichmuth aus Berlin, 24.8.2015)