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Rauch über der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê Ende Juni 2015 nach einem neuerlichen Angriff der dschihadistischen Terrormiliz Islamischer Staat.

Foto: Reuters/STRINGER/TURKEY

Während die Stickstoffdioxidemissionen von 2005 bis 2010 fast im ganzen Nahen Osten stiegen (obere Karte), sind sie zwischen 2010 und 2014 in vielen Regionen gesunken (untere Karte). Die Farben stehen für die Änderungen der Konzentration an Stickstoffdioxid in 1015 Molekülen pro Kubikmetern Luft während des betrachteten Zeitraums.

Foto: Science Advances/MPI für Chemie

Mainz – In bewaffneten Konflikten verlieren zahllose Menschen wenn nicht ihr Leben, dann zumindest ihre Existenz. Kriege und Krisen bringen auch das Wirtschaftsleben zum Erliegen. Millionen Menschen etwa in Syrien und Irak sind zu Flüchtlingen geworden. Die Schicksale dieser Menschen, aber auch wirtschaftliche Krisen hinterlassen in der Atmosphäre genauso Spuren wie mancherorts Maßnahmen, die Luftqualität zu verbessern.

Die Veränderungen in der Atmosphäre untersuchte nun ein Team um Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie im Fachblatt "Science Advances". Messungen zeigen, wie stark die Luft durch das gesundheits- und umweltschädliche Stickstoffdioxid belastet werden. Die Forscher analysierten Daten, die der Aura-Satellit der NASA von 2005 bis 2014 in einigen Mittelmeerstaaten und im Nahen Osten gemessen und täglich zur Erde geschickt hat.

Umweltgesetze und bewaffnete Konflikte

Demnach sind die Stickstoffdioxidemissionen von 2005 bis 2010 in nahezu allen bewohnten Gebieten des Nahen Ostens deutlich anstiegen. Dagegen sanken sie zwischen 2010 und 2014 vielerorts ab: in Israel, Syrien und im Iran, in und um Kairo, Bagdad und Riad, und auch in den für den Ölexport so wichtigen Häfen am persischen Golf. Im Libanon, in Teilen des Iraks und Jordanien stiegen die Stickoxidwerte im gleichen Zeitraum aber weiter an.

Die Ursachen für die verminderten beziehungsweise erhöhten Werte sind sehr unterschiedlich: Während in Israel und im Saudi-Arabischen Riad strengere Umweltgesetze zur Reduktion der Stickoxidemissionen führten, geht die Verminderung in anderen Gebieten einher mit politischen und wirtschaftlichen Konflikten, Kriegen und Flüchtlingsströmen. "Es ist sehr tragisch, dass die beobachteten Negativtrends der Stickoxidemissionen zum Teil mit humanitären Katastrophen einhergehen", sagt Lelieveld.

Flucht und Emissionen

Dies wird besonders am Beispiel Syriens deutlich. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 sanken die Stickoxidwerte über Damaskus und Aleppo um 40 bis 50 Prozent. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als 11 Millionen Syrer auf der Flucht. Vier Millionen davon flohen bereits aus ihrem Land, unter anderem in den benachbarten Libanon, in dem die Emissionswerte allein in 2014 um 20 bis 30 Prozent anstiegen.

Im Irak zeigt sich ein wesentlich kompliziertes Bild der Emissionen: Nach der Invasion durch die USA und Großbritannien im Jahr 2003 stieg der Energieverbrauch des Landes um vier bis fünf Prozent, das Bruttoinlandsprodukt sogar um sechs bis sieben Prozent pro Jahr an. Parallel dazu stiegen die Stickoxidemissionen von 2005 bis 2014 im kurdischen Norden und im Süden des Iraks kontinuierlich an.

In Kerbala, einer vorwiegend von Schiiten bewohnten Stadt südlich von Bagdad, sogar um etwa zehn Prozent pro Jahr. Anders sieht es in und um Bagdad sowie in den zeitweise von der Terrormiliz Islamischer Staat eroberten Gebieten im Zentrum des Landes aus: Hier sanken die Stickoxidemissionen zwischen 2010 und 2014 deutlich.

Iran-Sanktionen ablesbar

Für die drastischen Veränderungen der Stickoxidemissionen im Iran machen die Forscher die Sanktionen verantwortlich, die die Vereinten Nationen im Jahr 2010 deutlich verstärkten. Dadurch sank 2013 und 2014 nicht nur das zuvor hohe Bruttoinlandsprodukt um sechs Prozent, auch die Emissionswerte lagen 2014 deutlich niedriger als noch im Jahr 2010.

Sichtbar wird auch, dass die Emissionen des iranischen Schiffsverkehrs, der wichtig ist für den Erdöltransport, deutlich sanken. "Wir haben anhand der Satellitenmessungen gesehen, dass die Wirtschaftssanktionen im Iran seit 2010 große Wirkung hatten", so Lelieveld. Seine Team will nun beobachten, wie sich die Emissionswerte im Iran künftig entwickeln, wenn die UN-Sanktionen aufgehoben werden.

Auch die Wirtschaftskrise in Griechenland lässt sich in den Stickoxidemissionen ablesen. So sanken die Emissionen seit 2008 um 40 Prozent. Im gleichen Zeitraum fiel das Bruttoinlandsprodukt um fünf Prozent pro Jahr.

Pauschale Prognosen greifen zu kurz

Dass die Stickstoffdioxidemission in vielen Ländern stark mit der Wirtschaftsleistung zusammenhängt, ist nicht sehr überraschend. Denn Stickoxide entstehen zwar auch auf natürliche Weise, werden aber in erster Linie bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas durch Industrie und Verkehr freigesetzt. Vor allem Stickstoffdioxid kann Erkrankungen der Atemwege hervorrufen. Generell tragen Stickoxide maßgeblich zur Bildung von Ozon und Feinstaub in der Troposphäre bei und spielen eine Rolle beim Klimawandel.

"Stickoxidemissionswerte fließen in globale Luftqualitäts- und Klimamodelle ein", sagt Lelieveld. Bisher werden Stickoxidwerte zumeist langfristig aus dem wirtschaftlichen Status eines Landes beziehungsweise seinen Kohlendioxidemissionen vorhergesagt. So geht beispielsweise ein Szenario (RCP8,5) im Bericht des Weltklimarates IPCC davon aus, dass die Stickoxidemissionen im Nahen Osten zwischen 2005 und 2030 um zwei Prozent pro Jahr ansteigen.

Die aktuelle Studie der Mainzer Forscher zeigt nun, dass solche pauschalen Prognosen nicht mehr zutreffen, wenn in Ländern Krisen ausbrechen oder, im besseren Fall, Gesetze zur Reinhaltung der Luft erfolgreich sind. (red, 24.8.2015)