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Miteinander verbunden und trotzdem isoliert: Wir filmen Konzerte statt sie zu erleben.

Foto: REUTERS/Harrison McClary

Bei dem "Digital Divide", zu Deutsch "digitale Kluft", denkt man normalerweise an Länder und Regionen ohne Zugang zum Internet. Etwa Entwicklungsländer. Dort bedeutet Internetzugang auch einen Zugang zu Wissensquellen wie Wikipedia, die für das Überleben von Menschen und den Betrieb von kleinen Unternehmen essenziell sein können.

Digitalisiert – und trotzdem geteilt

In letzter Zeit wird der Begriff der digitalen Kluft jedoch auch auf fast vollständig digitalisierte Länder angewendet. Hier wird dann die Spaltung der Gesellschaft in die Nutzer der Digitaldienste und die Nichtnutzer vorgenommen – oft ein Generationenclash. Schließlich unterscheidet man noch die smarten Nutzer, die das Internet zum Lernen verwenden, und die sogenannten Dummies, die das Medium hauptsächlich zum Spielen und Fernsehen verwenden.

Ist besser, was spaltet?

All diese Klüfte sind relevant und lassen uns über die neue Technikwelt nachdenken. Alle haben sie eine Annahme gemein: "Digital ist besser" – siehe auch das gleichnamige Buch von Tim Renner –, und mehr digital ist noch besser.

Die Annahme "Digital ist besser" wird in Alpbach derzeit radikal hinterfragt. Denn ist besser, was spaltet? Ist es sinnvoll und überhaupt angebracht, implizite Hierarchien zu etablieren?

Heiß diskutiert wurde bereits, wie Informations- und Kommunikationstechnik unsere Arbeitswelt untergraben könnte. Stichwort Uber. Das Unternehmen erlaubt Nutzern, Fahrgäste gegen ein geringes Entgelt einfach privat im Auto mitzunehmen. In vielen Städten demonstrierten Taxifahrer gegen den Fahrdienstanbieter.

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Ebenso war das Video "Humans need not apply" Anstoß angeregter Diskussion der Alpbacher Stipendianten. Haben sie in einer digitalisierten und automatisierten Welt viel weniger Berufschancen, als sie heute denken? Und welche menschlichen Qualitäten sind es, die wir fördern und entwickeln müssen, um von Maschinen nicht ersetzt zu werden? Die Vorstellung, dass digitalisierte Gesellschaften einen Vorteil haben, das wird im Seminar als der "Vertical Divide" beziehungsweise die "vertikale Kluft" zwischen Gewinnern und Verlierern der Digitalwelt benannt.

Isolation durch Digitalisierung?

Die vertikalen Klüfte sind jedoch nicht der einzige Fokus unserer Diskussionen und Vorträge. Mindestens genauso wichtig ist die Diskussion der "horizontalen" Kluft, die durch Informations- und Kommunikationstechnik entsteht. Das ist der Moment, wo die Technik sich zwischen uns Menschen schiebt und unsere sozialen Beziehungen untergräbt. Das Bild, wo Menschen nebeneinander sitzen und sich nicht mehr sehen, weil sie auf ihre Smartphones starren, ist jedem bekannt. Es ist das Ausgangsbeispiel unserer Hypothese, dass es noch eine weitere und neuere Form von der digitalen Kluft gibt, die "horizontale digitale Kluft".

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Bei der "horizontalen digitalen Kluft" geht es nicht um Hierarchien oder besser und schlechter mit mehr oder weniger Technik. Hier geht es darum, dass uns Informations- und Kommunikationstechnik in eine immer stärkere Isolation hineintreiben könnte. Wieso das so ist, wo doch soziale Plattformen wie Facebook und Smartphone uns unendlich stärker miteinander verbinden als früher? Der Youtube-Trailer "I forgot my phone" macht es sehr deutlich; ebenso wie Sherry Turkles Buch "Alone together": Wir schreiben SMS statt anzurufen. Wir unterbrechen schöne Momente zu zweit, weil wir Angst haben, eine Mitteilung am Telefon zu verpassen. Wir filmen Konzerte statt sie zu erleben. Und wir unterbrechen uns selbst dauernd und bei allem, was wir tun – alle 15 Minuten im Schnitt – und werden zunehmend unfähig, uns für längere Zeit zu konzentrieren.

Die Stipendianten hier in Alpbach sehen das alles. Unser erster Akt im Seminar war, sie auf eine Mediendiät zu setzen. Zweieinhalb Tage offline sein, ohne Handy und ohne Internet. Knapp 50 Prozent der Teilnehmer, die mitgemacht haben, haben es geschafft. Und bei allen hat ein tiefer Denkprozess begonnen. (Sarah Spiekermann, 24.8.2015)