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Ein aus Asien eingeschleppter Parasit macht den Aalen derzeit zu schaffen. Die Bestände sind dramatisch geschrumpft.

Foto: Picturedesk / FLPA / Fabio Pupin

Wien – Der Atlantik ist im November eine schier endlose, graue Einöde. Regelmäßig fegen Stürme über das Wasser hinweg, für Schiffe wird es dann schnell ungemütlich. Unter der Oberfläche jedoch sind andere Reisende unterwegs, denen die Wellen nichts anhaben können: Aale. Die Fische haben von Europas Küsten aus Kurs auf die Sargassosee genommen. Das östlich der Bahamas gelegene Meeresgebiet dient ihnen als Laichplatz. 4000 bis 7000 Kilometer legen die Aale auf ihrem Weg dorthin zurück – bis zu sechs Monate im Dauerschwimmmodus. Eine unglaubliche Leistung.

Wie genau die Aalwanderung abläuft, war lange Zeit ein vollkommenes Rätsel. 2009 veröffentlichte eine internationale Forschergruppe die Ergebnisse eines faszinierenden Markierungsversuchs (vgl.: Science, Bd. 325, S. 1660). Die Wissenschafter hatten an der irischen Westküste einige Aale zu Beginn der Reise mit winzigen Datenloggern ausgestattet. Die Gerätchen maßen Temperatur und Wasserdruck. Nach einiger Zeit lösten sie sich von den Fischen, stiegen an die Oberfläche, und sendeten die gespeicherten Daten an Satelliten.

Die Auswertungen wiesen auf ein bemerkenswertes Verhalten hin. Wanderende Aale wechseln offenbar zweimal täglich ihre vertikale Schwimmtiefe. Nachts sind sie in 100 bis 300 Metern Wassertiefe unterwegs, aber bei Tagesanbruch tauchen die Tiere in bis zu 700 Meter Tiefe ab. Und abends geht's wieder hinauf.

Rätselhaftes Pendeln

Dieses Pendeln bereitet Experten nach wie vor Kopfzerbrechen. Über die Hintergründe können sie nur spekulieren. Möglicherweise, so meinen manche, dient das Verhalten dazu, die Körpertemperatur der Fische zu regulieren. Andere wiederum sehen das Auf und Ab als eine Sicherheitsstrategie Die Aale würden so bei Tageslicht jagenden Haien und anderen Räubern entgehen. "Aber warum bleiben sie dann nicht gleich unten", meint der Biologe Bernd Pelster. Das würde einiges an Energie sparen.

Pelster, der als Forscher an der Universität Innsbruck tätig ist, betrachtet das Phänomen vor allem aus einer physiologischen Perspektive. Er nimmt das hydrostatische Organ der Aale, die Schwimmblase, unter die Lupe. Mit ihrer Hilfe können die Fische ohne wesentlichen Kraftaufwand in einer bestimmten Tiefe ihre Position halten, denn sie reguliert den Auftrieb ihres Körpers.

Letzterer ist umso stärker, je mehr Gas die Schwimmblase enthält. Der umgebende Wasserdruck indes wirkt dem zum Teil entgegen. In größeren Tiefen ist wesentlich mehr Gasfüllung vonnöten als im Flachwasser. Sonst sinkt das Tier ab. Taucher kennen diesen Effekt aus eigener Erfahrung. Sie nutzen aufblasbare Westen anstatt einer Schwimmblase.

Physiologischer Kraftakt

Aale verfügen über ein besonders leistungsfähiges Auftriebsorgan. Das Befüllen ist ein physiologischer Kraftakt, wie Bernd Pelster erläutert. Das Gas muss aus dem Blut eingeleitet werden. Dies geschieht über ein Rete mirabile, ein fantastisches Gegenstromsystem, und ein fein verzweigtes Netz aus Blutgefäßen, das an der Innenwand der Schwimmblase liegt. Mit ihm sind zahlreiche Gasdrüsenzellen verbunden. Die Füllung der Schwimmblase besteht überwiegend aus Sauerstoff.

Er wird über die Kiemen aufgenommen und im Blut über den Körper verteilt – auch zu den Gasdrüsenzellen. Doch anders als in anderen Geweben herrscht hier kein normaler Sauerstoffbedarf. Das Gas muss praktisch mit Gewalt aus dem Blut herausgelöst werden, mit physikalisch-chemischer Gewalt. Es diffundiert dann entlang den Partialdruckgradienten in die Schwimmblase.

Der Clou ist eine gezielte Übersäuerung. Die Gasdrüsenzellen produzieren große Mengen an Milchsäure und geben diese in das Blut ab. Der pH-Wert des Bluts fällt rapid ab, und dadurch auch die Gaslöslichkeit. Abgesehen davon setzen die Protonen der Säure vorübergehend das Hämoglobin außer Gefecht. Die dreidimensionale Struktur seiner Moleküle wird zeitweilig verändert, was wiederum die Anbindung von Sauerstoff unterbindet. Das Gas entweicht in die Schwimmblase und pumpt sie auf. Zusätzlich produzieren die Gasdrüsenzellen auch CO2, was ebenfalls zur Füllung beiträgt.

Wenn ein wandernder Aal morgens in die Tiefe abtaucht, wird er dafür einen hohen energetischen Aufwand betreiben müssen. Die Synthese von Milchsäure verbraucht viel Glucose. Es dürfte allerdings fast unmöglich sein, dass die Fische ihren durch den Wasserdruck verringerten Auftrieb vollständig ausgleichen können, meint Bernd Pelster. Sie müssen wohl zusätzlich gegen das Absinken anschwimmen – was noch mehr Energieverbrauch verursacht. Ohne Schwimmblase jedoch wäre dieser sehr viel höher.

Aggressive Substanzen

Die Funktion des Organs hat weitere faszinierende Aspekte. Beim Freisetzen von Sauerstoff unter hohem Partialdruck entstehen auch reichlich aggressive Substanzen, sogenannte ROS, die Schäden hervorrufen können. Wie schützt sich das Gasdrüsengewebe davor? Pelster und seine Kollegen konnten bei Labormessungen eine verstärkte Präsenz von Glutathion-Reduktase, Superoxid-Dismutase sowie Katalase in den Zellen nachweisen (vgl.: Frontiers in Physiology, Bd. 5, Art. 486). Diese Enzyme spalten ROS und machen sie dadurch unschädlich.

Das Innsbrucker Team untersucht nun mit Förderung durch den Wissenschaftsfonds FWF weitere Details der Schwimmblasenfunktion von Aalen. "Wir versuchen gerade, die Genexpression in den Gasdrüsenzellen zu analysieren", berichtet Bernd Pelster. Wie verändert sich diese in Vorbereitung auf die Laichwanderung? Auch in der äußeren Schwimmblasenhülle finden dann Umbaumaßnahmen statt. Dort kommt es zur vermehrten Einlagerung von Guanin – demselben Stoff, der Fischschuppen silbern färbt. So wird das Organ nach außen hin besser abgedichtet, sagt Pelster zum STANDARD.

Bestände in Bedrängnis

Die Studien dürften auch für den Artenschutz interessant sein. Europas Aalbestände sind in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch geschrumpft – Schätzungen zufolge auf weniger als zehn Prozent ihrer ursprünglichen Größe. Als einer der möglichen Schuldigen steht Anguillicola crassus im Verdacht, ein aus Asien eingeschleppter Parasit. Die Würmer leben in der Schwimmblase von Aalen und schaden dort dem Gewebe. Die Blaseninnenwand wird dicker, der Gaseintrag deutlich erschwert.

Aale indes hören am Anfang ihrer Reise mit dem Fressen auf. Die Tiere zehren von ihren großen, aber dennoch begrenzten Fettreserven. Eine eingegrenzte Schwimmblasenfunktion hat wahrscheinlich einen erhöhten Energieverbrauch zur Folge, und das wiederum könnte für viele der Langstreckenwanderer durchaus fatal sein. Sie kämen nie an. (Kurt de Swaaf, 21.8.2015)