Das Experiment, welches die neue Bregenzer Intendantin Elisabeth Sobotka mit dem Opernstudio durchführt, ist gelungen: Mozarts "Così fan tutte" ist im Vorarlberger Landestheater am Kornmarkt im Künstlermilieu angesiedelt und wirkt kurzweilig.

Foto: Karl Forster

Bregenz – "Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu", dichtete Heinrich Heine über jugendlich-unglückliche Liebende. Die Story von Mozarts Così fan tutte galt lange Zeit – eigentlich das ganze 19. Jahrhundert hindurch – als unglaubwürdig. Dass die beiden Damen aus der besseren Gesellschaft ihre Geliebten in unbeholfener Verkleidung nicht erkennen und sich in den jeweils anderen verlieben: Wie soll das bitte funktionieren?

Erst in der Moderne kehrte das Stück mit seiner vollen Wucht zurück, wurden seine erotischen Eruptionen mitunter auch als Erdbeben gedeutet, das das gesamte alte, vorrevolutionäre Sozialsystem erfasst: Immerhin hob Mozart das Signalwort "Frankreich" durch riesige Triller hervor, während sein Librettist unter anderem meinte, ein wenig Argwohn sei "auf dieser Welt" ganz grundsätzlich kein Fehler.

Dass man die alte Geschichte jedoch auch aus gegenwärtiger Sicht als das zeigen kann, was der Untertitel der Oper formuliert, nämlich als "Schule der Liebenden", demonstrieren die Bregenzer Festspiele nun im Vorarlberger Landestheater am Kornmarkt: Die Idee von Regisseur Jörg Lichtenstein, die Handlung im Theatermilieu anzusiedeln, ist nicht ganz neu, sondern ein naheliegender Kunstgriff, der aus dem Ruder laufende höfische Galanterie mit sich verselbstständigendem Spiel auf einen gemeinsamen Nenner bringt.

Die eigentliche Neuheit liegt jedoch woanders: im neu eingerichteten Bregenzer Opernstudio, in dem junge Sängerinnen und Sänger intensiv proben können und das von Intendantin Elisabeth Sobotka dezidiert als "Experiment" bezeichnet wurde – reizvoll, mit einem Werk zu beginnen, das seinerseits als Versuchsanordnung daherkommt, dessen Ausgang der zynische Aufklärer Don Alfonso von Beginn an kennt. Man befindet sich im Bühnenbild von Susanna Boehm auf der Seitenbühne eines Operntheaters, in dem die Ebenen ständig wechseln.

Die Aufführung eines anderen Stücks ist noch im Gange, während die beiden "Soldaten" die verhängnisvolle Wette mit dem "Philosophen" eingehen, der Rotwein trinkend eine lachsfarbene Tageszeitung liest. "Il Giardinetto", "das Gärtchen", wo die Schwestern ihren Liebhabern nachtrauern, ist die Theaterkantine. Liebesbeweise prangen am Smartphone, und das "Herz" des Partners trägt man nicht als Rokoko-Anhänger, sondern wie ein Tattoo am Oberarm. Der Prager Philharmonische Chor tönt mit seinem Militärjubel vom Tonband aus dem Off und beim zweiten Mal gar aus dem Ghettoblaster.

Einige Tranzschritte

Dies alles wird aber ebenso subtil eingebettet wie die Fechtszenen und die historischen Tanzschritte, aber auch Videoszenen, die die Darsteller beim unbeschwerten Baden im See zeigen. Virtuos spielt die Regie mit den Facetten zwischen "Privatperson" und Rollenspielern, die am Ende in Alltagskleidung auseinandergehen. Bis dahin agiert das gesamte Ensemble nicht nur mit aller Professionalität, sondern vor allem mit überschäumender Energie, die sowohl dem Setting in der Gegenwart als auch den Mozart-Charakteren gerecht wird: Glaubhaft vermittelt etwa Kelebogile Pearl Besong in den extremen Intervallsprüngen der Fiordiligi, wie diese Figur hin- und hergerissen wird. Annika Schlicht gibt eine grandiose Dorabella, der die eigene Sinnlichkeit nicht ganz geheuer zu sein scheint, Sónia Grané eine springlebendige, dabei aber nicht nur komische Despina.

Auch die Herren der Schöpfung singen beinahe so schön, wie sie sich gegenüber den Damen anpreisen: Maximilian Krummen ist ein kerniger Guglielmo, Stephen Chambers ein Ferrando mit allen lyrischen Anlagen, Grigory Shkarupa ein kraftvoller Don Alfonso, dessen Überlegenheit als eingebildete deutlich wird.

Das erfrischend klein besetzte Symphonieorchester Vorarlberg hat sich auf einen unkonventionellen Mozart-Stil eingeschworen, der zur szenischen Lesart passt. Wendig und leicht, mit viel Klangschönheit vor allem bei den Bläsern, mitunter sehr straff und geradezu nüchtern und sachlich führt es Dirigent Hartmut Keil, der auch für fantasievolle, andeutungsreiche musikalische Kommentare bei den Rezitativen sorgt, die keineswegs in der Mozart-Zeit verharren. Die alte Geschichte ist eben doch immer neu. (Daniel Ender, 18.8.2015)