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Viele wollen studieren, doch nur für die Besten ist Platz: die Aufnahmeprüfung an der Med-Uni Graz.

Foto: APA/MedUniGraz

Mehr als die Hälfte der Studienanfänger an den heimischen Medizinuniversitäten ist weiblich. Doch obwohl 51 Prozent der Erstsemestrigen Frauen sind, gibt es in feministischen Kreisen einen Aufschrei über ein angebliches "männliches Elitenprivileg" im Medizinstudium. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass prozentuell mehr Frauen als Männer am Aufnahmetest, der heuer durch den Bereich "Soziales Entscheiden" ergänzt wurde, gescheitert sind: 58 Prozent der Bewerber waren weiblich.

Jasmin Kassai, Katrin Walch und Sandra Hochmayr, alle drei Funktionärinnen des Verbandes Sozialistischer Student/-innen in Österreich (VSStÖ), schreiben in einem Kommentar der anderen ("Die fehlenden Frauen der Medizin-Unis", 16. 8.) von einer Diskriminierung der Frauen durch das Abfragen von "männlich konnotiertem Wissen". Dies stünde im Gegensatz zu "'typisch' weiblichen Eigenschaften" wie Teamfähigkeit, Empathie und Fürsorglichkeit", wo Frauen besser abschneiden würden. Während die Einschätzung, nach der Frauen empathischer oder teamfähiger als Männer sein sollen, mehr auf einer vorurteilsbehafteten küchenpsychologischen Weltsicht als auf prüfbaren Fakten zu basieren scheint, stellte die Existenz von "männlich konnotiertem Wissen" für viele User im Forum zu dem Kommentar eine neue Erkenntnis dar – schließlich ist naturwissenschaftliches Wissen geschlechtsunabhängig. Die Zahl π ist immer π, egal, wer den Kreis berechnet, und die Lichtgeschwindigkeit ändert sich zwar in unterschiedlichen Medien, im Vakuum ist sie eine Konstante, die für Männer wie Frauen gleich gilt.

Das Medizinstudium ist ein in erster Linie auf Naturwissenschaften basierendes, nur mit den Erkenntnissen der evidenzbasierten Forschung ist es möglich, Krankheiten zu heilen. Es ist schlimm genug, dass an den Universitäten teilweise die Lehre von parawissenschaftlichem Humbug wie Homöopathie Einzug gefunden hat. Eine von den Studentenvertreterinnen angestrebte Gleichwertung von angeblich "männlich konnotiertem Wissen" mit "'typisch' weiblichen Eigenschaften" würde die wissenschaftliche Qualität des Medizinstudiums nur noch mehr verwässern.

Wenn ich einen Arzt konsultiere, erwarte ich mir in erster Linie profunde Sachkenntnis. Überspitzt gesagt, darf er ein Grantler sein, solange er mich gesund macht. Denn was nützt mir ein Mediziner, der mir fürsorglich die Hand tätschelt und mir "alles wird wieder gut" sagt, während mich die Krankheit dahinrafft, da "männlich konnotiertes Wissen" im Studium nicht mehr relevant war?

Es sei absurd, schreiben die drei VSStÖ-Funktionärinnen, die Studieneignung nach dem Vorwissen zu beurteilen: "Ein Studium ist vor allem dafür da, neues Wissen zu erwerben beziehungsweise fehlendes nachzulernen."

Die Universitäten sind sicherlich nicht dafür zuständig, während der Schullaufbahn erworbene Bildungsdefizite auszugleichen. Bei der Aufnahmsprüfung wird nicht hochspezialisiertes Wissen abgefragt, im Gegenteil sollten die Tests für naturwissenschaftlich interessierte Absolventen der Matura mit ein bisschen Vorbereitung kein Problem darstellen. Da die Zahl der Bewerber die Zahl der Studienplätze bei weitem übersteigt, sollen die Besten studieren dürfen – ohne Quoten.

Dabei waren Kassai, Walch und Hochmayr in ihrem Kommentar sogar den wahren Gründen für die ungleichen Testergebnisse auf der Spur: Männer und Frauen werden von klein auf anders sozialisiert, schreiben sie: "Das fängt etwa schon damit an, dass Mädchen Puppen und Buben Baukästen geschenkt bekommen. Unser Kindergarten- und Schulsystem trägt dies schließlich weiter." Ein Ruf nach einer Puppen- und Baukastenquote für Kinder würde hier dem üblichen inhaltlichen Diskursniveau der Genderdebatte unserer Zeit entsprechen. Doch bis zu der logischen Schlussfolgerung, dass bei den Kleinkindern und Schulkindern angesetzt werden muss, wenn man eine Veränderung der Verhältnisse bewirken will, kommen die Kommentatorinnen nicht. Auffallend ist: Der Bildungsweg des Nachwuchses ist zu einem großen Teil in weiblicher Hand. Dass dabei die entsprechenden Rollenbilder transportiert werden, ist eine Konsequenz, die nicht überraschen sollte.

Es müssten daher die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Männer den Kindern verstärkt als "role models" zur Verfügung stehen. Eine längerdauernde Karenz des Vaters muss für Familien leistbar sein, und es müssten Anreize gegeben werden, dass Männer den Beruf des Kindergärtners oder Lehrers anstreben. Dies würde vielleicht auch dazu führen, die Dropout-Rate der Buben zu reduzieren: Während es immerhin ein Viertel der Mädchen eines Geburtenjahrgangs bis zur Matura schafft, bleiben bei den Buben fünf Sechstel auf der Strecke. Diese eklatante Ungleichheit wäre eine eingehendere Untersuchung wert als Ergebnis einer Wissensprüfung, die für alle gleich ist. (Michael Vosatka, 18.8.2015)