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In unserer Gesellschaft steht (Lohn)arbeit für gelungene Lebensführung. Alternativen zur Selbstverwirklichung und persönlichen Weiterentwicklung abseits des Berufslebens gibt es kaum.

Foto: APA / dpa / Lukas Schulze

Die Überhöhung von Arbeit in unserer Gesellschaft – einer Tätigkeit, die per Definition einen bloßen Erwerbs- und Zweckcharakter haben sollte – setzt deren Mitglieder nicht nur finanziell, sondern auch ideologisch unter Druck. Das Thema Arbeit wird verklärt, der zum (Über)leben nötige Arbeitsaufwand übermäßig erhöht.

Ein im STANDARD zitierter Langzeitarbeitsloser sagt, er habe die vier Jahre seines Lebens, die er mit Arbeitssuche zugebracht hat, "verloren". Warum "verloren"? Eine eigentümliche Wortwahl. Hätte er diese vier Jahre in Haft oder auf einer einsamen Insel zugebracht, wäre die Empfindung leichter nachvollziehbar.

Am konkreten Einzelfall lässt sich hier unsere bedenkliche, ja sogar gefährliche Wahrnehmung von Arbeit und Nichtarbeit zeigen: Arbeitslosigkeit impliziert die Verpflichtung zur Arbeitssuche sowie stete Arbeitsbereitschaft. Kann (oder will) ein Mensch dieser impliziten Verpflichtung nicht nachkommen, wird er als defizitär markiert, hat im gesellschaftlichen Diskurs massiv an Wert einzubüßen und bekommt das zunächst vor allem finanziell zu spüren. Zusätzlich kann die mit der Arbeitssuche verbrachte Zeit nicht guten Gewissens als verlebt, genutzt oder gar genossen empfunden werden.

Unhinterfragte Ideologie

Das Bedürfnis nach Arbeit ist (leider) mehr als die Notwendigkeit zu überleben, ist auch Ideologie, weshalb rein finanzielle Überlegungen zur "Sozialdebatte" zu kurz greifen. Wir fragen häufig, wie man Arbeit schafft oder findet, aber nur allzu selten, wofür eigentlich.

Anstatt zu kritisieren, dass eine Gesellschaft nicht die nötigen Strukturen schaffen kann oder will, um möglichst jeden zu "beschäftigen", also mit Arbeit einzudecken, sollten wir kritisieren, dass diese Gesellschaft (Lohn)arbeit als einzig gangbaren Weg zu gelungener Lebensführung, persönlicher Weiterentwicklung und sozialer Achtung propagiert und damit ein "arbeitsnormatives" Weltbild schafft, das unser aller Leben bestimmt.

Der oben erwähnte Langzeitarbeitslose hat Angst vor dem sozialen Abstieg: "Mit jedem weiteren Tag in der Arbeitslosigkeit steigt die Angst, alles zu verlieren." Wichtig ist hier nicht die Frage, ob ein Leben in Angst die Eigentumswohnung, auswärts essen oder Urlaube eigentlich Wert ist, sondern ob nicht "aufgeben", also den "Abstieg" hinzunehmen und damit die Existenzängste abzubauen im konkreten Einzelfall die bessere Alternative gewesen wäre.

Weiterentwicklung abseits des Berufslebens?

Glaubt man nicht an die Arbeit als einen Wert an und für sich, könnte man ebenso gut sagen, der Langzeitarbeitlose habe nicht die vier Jahre "verloren", sondern eher die fast zwanzig Jahre, in denen er einen Großteil seiner Zeit freiwillig dem Erwerbsleben geopfert hat. Die Leitideologie besagt, dass Eigentum und Lebensstandard eine Art Belohnung für Arbeit darstellen sollen und lässt kaum Alternativen zur Selbstverwirklichung und persönlichen Weiterentwicklung abseits des Berufslebens zu. Aber das ist noch kein Grund, die Zeit ohne Arbeit als unwert, als "verloren" zu betrachten.

Die "Sozialdebatte" soll an dieser Stelle in keinster Weise verharmlost, sondern vielmehr mit der Frage, ob und inwieweit Lebensstandard und persönliches Glücksempfinden überhaupt an den Arbeitseifer geknüpft sein müssen, in Verbindung gebracht werden: Fakt ist schließlich, dass uns die Leistungsgesellschaft zum Beispiel im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit unseres kollektiven Handelns teurer zu stehen kommen wird als der Sozialstaat sowie der Umstand, dass es für sozialen Frieden und kollektives (Glücks)empfinden in einer Gesellschaft kein besseres Mittel gibt als Verteilungsgerechtigkeit.

Die "Sozialdebatte" sollte nicht bloß geführt werden, damit der Langzeitarbeitslose seine materialistischen Verlustängste loswird, indem man ihm genug Geld zum Leben zugesteht, sondern vor allem, um ein Umfeld zu schaffen, in dem er nicht verpflichtet ist, sich für seine Arbeitslosigkeit schuldig zu fühlen, ja diese, wenn er möchte, guten Gewissens genießen kann – ein Umfeld, in dem er sich nicht als der Verlierer der Arbeit, sondern als Gewinner der Nichtarbeit empfinden kann. (Krzysztof Brązowy, 14.8.2015)