Kaum ein Spiel versteht es so gut, die atomare Postapokalypse zwischen Mutanten, roher Gewalt und MacGyver'scher Gadgetverliebtheit mit derart pointiertem Augenzwinkern zu erzählen, wie "Fallout 3" aus dem Jahr 2008. Dementsprechend überschwänglich feierten Fans vergangenen Juni die Enthüllung des Nachfolgers "Fallout 4", das Spieler Ende des 23. Jahrhunderts im Anschluss an die Ereignisse des dritten Teils in das völlig verwüstete Boston katapultiert.

Auf der vergangenen Gamescom präsentierte Hersteller Bethesda Softworks für Fachbesucher weitere Spielauszüge und hinterließ dabei eine herausragende Impression: "Fallout 4" wirkt sieben Jahre später, wie "Fallout 3" in Erinnerung geblieben ist.

Schon einmal gesehen

Die Welt nach dem Untergang ist abermals ein gigantischer Spielplatz für todesmutige Jäger und Sammler, der in der jüngsten Demo nicht mit großen Neuerungen oder Überraschungen aufwartete. Das fällt einerseits ernüchternd auf: Die Ruinen Bostons sehen stellenweise wie ein höher aufgelöster und mit dynamischen Lichteffekten aufgehübschter Recyclingplatz für "Fallout 3"-Grafiken aus. Verwaschene Texturen, hölzerne Animationen und Texturen, die Mutanten und Banditen wie Zeitreisende aus einer vergangenen Hardware-Generation erscheinen lassen, haben stellenweise wenig mit der Vision eines modernen Open-World-Schauplatzes zu tun. Eine gewiss sehr oberflächliche Anschauung, die im Direktvergleich mit dem Vorgänger abgeschwächt wird, doch es ließ sich an der Reaktion der Zuseher nicht verbergen, dass eine derart einprägsame Endzeitkulisse ein spektakuläreres Gerüst vertragen würde.

Bethesda Softworks
Bild: Fallout 4

Kreative Freiheit

Das soll nicht heißen, dass "Fallout 4" technisch nicht einiges hermacht. Die gigantischen Ausmaße der Spielwelt ließen sich bei der Präsentation schon anhand einiger Spielauszüge erahnen, die bei der Durchquerung Lexingtons aufgenommen wurden, eines der vielen Stadtteile im fiktiven Boston. Entdecker werden in den Trümmern eingestürzter Häuser unzählige Relikte einer Epoche finden, die in keinem Geschichtsbuch niedergeschrieben steht. Eine über die Jahre perfektionierte, inspirierte Verschmelzung der 1950er- und 1960er-Jahre mit Hightech-geschwängerten Zukunftsvisionen, die darauf aus ist, Spielern kreative Freiheit zu gewähren.

Um sich vor streunenden Mutanten und Banden zu schützen, bietet dieser Sumpf des Verbrechens unzählige Bauteile für Mordinstrumente jeglicher Perversion. Gesammelte Materialien und Chemikalien können zu genagelten Baseballschlägern genauso zusammengesetzt werden wie zu Flammenwerfern und Plasmakanonen. Rüstungen sind ebenso individualisierbar und Ausdruck eines Spielkonzepts, das Überlebenskünstlern kaum Steine in die Quere legt. Mit sieben Grundeigenschaften wie der Stärke eines wahlweise weiblichen oder männlichen Charakters sowie mit aberdutzenden Spezialisierungen und Upgrades soll jeder die Möglichkeit haben, seinen Helden oder seine Heldin nach der persönlichen Spielweise zu formen. Es wird keine Begrenzung der Erfahrungsstufe geben und, wer möchte, wird noch nach dem individuellen Ende des Haupthandlungsstranges hunderte Stunden mit Bostons Nebenherausforderungen verbringen können.

Kopftreffer und Romanzen

Fans der Serie werden dies vermutlich so und so erwartet haben, und beim Gameplay werden sie sich ebenso schnell zu Hause fühlen. Wie gehabt, nimmt die Egoshooter-Mechanik mit dem Vault-Tec Assisted Targeting System (V.A.T.S.) Anlehnungen an klassische Rollenspiele und erlaubt es, gesammelte Action-Points für automatisierte Angriffe auf bestimmte Trefferzonen einzusetzen. Dadurch können Gegner etwa mit Schüssen auf die Beine gezielt verlangsamt oder mit Kopftreffern rasch ausgeschaltet werden. Selbst für geübte Shooter-Freunde nicht unpraktisch, denn wie die Demo zeigte, stecken Widersacher gut und gern mehrere Magazinladungen ein, bis sie einknicken.

Ein weiteres taktisches Element stellen Begleiter oder Begleiterinnen dar, die in der Einöde zur Hilfe kommen. Dazu gehören der unkaputtbare Hund genauso wie ein Riese oder Androide sowie menschliche Mitstreiter. Mit einigen von ihnen soll man sogar Romanzen eingehen können. Die nicht live gespielte Demo veranschaulichte abseits der brachialen und von zerfetzten Körperteilen geprägten Kämpfe zudem, wie man mit Dietrichen Schlösser knacken oder elektronische Geräte hacken kann. Laut den Entwicklern solle es für einige Situationen gewaltfreie Lösungswege geben, Pazifisten suchen sich dennoch lieber ein anderes Spiel.

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Bild: Fallout 4

Lautstark ohne Knalleffekt

Was die jüngste Videopräsentation nicht schaffte: etwas zu zeigen, was man spielerisch nicht schon von "Fallout 3" kannte. Anstelle großer Neuerungen scheint man sich im Feinschliff der Details geübt zu haben und hält etwa beim VATS-Zielsystem nun nicht mehr die Zeit an, sondern verlangsamt sie nur, um es dynamischer erscheinen zu lassen. Viel Anstrengungen wurden zudem unternommen, erstmals eine komplette Sprachausgabe zu bieten.

"Fallout 3"-Veteranen sollten so ein ziemlich gutes Bild davon haben, was sie mit der Fortsetzung erwartet. Einen weiteren großen Knalleffekt zündete Bethesda seit der Enthüllung aber auch auf der Gamescom nicht. Viele werden ob der gebotenen alten und verbesserten Stärken dennoch wohl sehr gut damit leben können. Am 10. November soll "Fallout 4" für Windows-PC, PS4 und XBO auf den Markt kommen. (Zsolt Wilhelm, 11.8.2015)