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Shi Yongxin galt bis vor kurzem als eine der 100 einflussreichsten Personen in China. Nun droht dem Shaolin-Mönch großes Ungemach.

Foto: Reuters

Heiliger oder Hochstapler? Niemand polarisiert Chinas Buddhisten derzeit so sehr wie Shi Yongxin, wegen seiner Geschäftstüchtigkeit umstrittener Hüter des berühmten Heiligtums Shaolin. Schwer irritiert sind auch unzählige internationale Anhänger des 1500 Jahre alten Klosters in der zentralchinesischen Provinz Henan. Shaolin gilt als Wiege des Chan- oder Zen-Buddhismus und legendäre Geburtsstätte der Kung-Fu-Kampfkunst.

Ein "Whistleblower" bezichtigt nun den Abt, ein "korrupter Tiger" zu sein, nennt ihn einen Betrüger, wirft ihm Bigamie und Ausschweifungen vor. Außerdem ist die Rede von Manipulationen von Meldebescheinigungen, von Luxusautos und von zwielichtigen Übertragungen seiner Aktienguthaben. Shi sei schon als Novize wegen gefälschter Rechnungen aus dem Kloster hinausgeworfen und später nur unter unklaren Umständen wieder aufgenommen worden.

Die öffentliche Erregung ist groß, und wenn sich die Vorwürfe gegen den bald 50-jährigen Abt bewahrheiten, zerstören sie nicht nur dessen persönliche Integrität: Sie würden auch eine Säule des buddhistischen Fundaments in China erschüttern.

Anonymer Informant

Kronzeuge ist ein angeblicher früherer Mönch, der seine Attacken mit Fotos und Dokumenten unter dem Pseudonym "Der nach Gerechtigkeit sucht" ins Internet stellte – anonym, was von der Zensur her eigentlich verboten ist.

Es scheint mittlerweile so, als ob die politische Führung in Peking Shi fallen lässt oder gar seinen Fall betreibt. Der Politkrimi begann Ende Juli, doch schon früher hatte es ähnliche Vorwürfe gegeben: 2011 etwa hieß es, Shi sei beim Besuch von Prostituierten erwischt worden, und er habe drei Milliarden US-Dollar auf Auslandsbanken versteckt und zahle Unterhalt an eine Geliebte, die sich mit seinem Sohn in Deutschland verborgen halte. Das Shaolin-Kloster erstattete damals Anzeige und lobte 50.000 Yuan (7300 Euro) für Hinweise aus, wer hinter den "bösartigen Gerüchten" stecke.

Empörung unter den Jüngern

Auch diesmal reagierten die Jünger empört. Renommierte buddhistische Gelehrte in Peking, wie der 70-jährige Ling Haicheng, verteidigen Shi gar als Heiligen. Diabolische Feinde würden ihn seit Jahren verfolgen. Dahinter steckten mächtige regionale Interessengruppen. Sie wollten sich an ihm rächen, weil er ihre Pläne durchkreuzte, Shaolin an die Börse und ihnen damit unvorstellbaren Reichtum zu bringen.

Doch die Kritikerphalanx behauptet, es sei gerade umgekehrt: Shi sei der Antreiber für die am öffentlichen Widerstand gescheiterten Aktienpläne, um Shaolin zur Weltmarke zu machen. Viele werfen ihm vor, der "CEO-Mönch" von China zu sein. Er habe das von ihm seit 1987 verwaltete und seit 1999 auch 16 Jahre lang als Abt geführte Kloster international zum Business-Imperium umfunktioniert und ein weitverzweigtes Geflecht lukrativer kommerzieller Gesellschaften entstehen lassen.

Jede Form persönlicher Bereicherung bestritten

Unter dem Dach des Klosters sitzen Buchverlage, Kung-Fu-Shows, Hersteller für Nahrungs- und Arzneimittel und das Management für 40 Kulturzentren im Ausland. Shi hat das stets als eine an die heutige Zeit angepasste Art verteidigt, die Shaolin-Idee zu globalisieren, und dabei aber jede Form persönlicher Bereicherung bestritten.

Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete jetzt, dass Shi 80 Prozent Anteile an einer Gesellschaft gehörten, die Shaolins immaterielle Werte vermarkten dürfe – es geht um Milliarden.

Politische Vorverurteilung

Dass die offizielle Xinhua sich nun derart mit der Sache befasst, wirkt wie eine politische Vorverurteilung des Abts und das vorbereitete Ende für eine Kultfigur. Seit 22 Jahren ist Shi Vizevorsitzender des chinesischen Verbands der Buddhisten (BAC), das staatliche Aufsichtsgremium über die größte Religionsgruppe des Landes mit mehr als 200 Millionen Gläubigen und 33.000 Tempeln und Klöstern. Der Abt ist seit 1998 auch Abgeordneter im nationalen Volkskongress. Im Jahr 2000 wurde er von Chinas Medien in die Gruppe der 100 führenden Personen des Landes gewählt.

Die Vorwürfe kommen jetzt zum Zeitpunkt eines geplanten Großdeals des Klosters: Seit März verhandelte Shi über den Bau eines 400-Millionen-Dollar-Resorts in Australien mit Luxushotel, Kung-Fu-Zentrum und Golfplatz. Die Vorwürfe gegen Shi passen auch ins Bild der Antikorruptionskampagnen von Staats- und Parteichef Xi Jinping gegen Funktionäre von Partei, Regierung und Armee. Sie weiten sich gerade auf andere öffentliche Bereiche aus, wo Macht, Einfluß und Geschäftemacherei unheilvoll zusammengehen.

Kampagne gegen Sekten

Dies geschieht aber auch vor dem Hintergrund Pekinger Kampagnen gegen Kulte und populistische religiöse Personen: In Kanton wurde kürzlich Wu Zeheng, Gründer einer angeblich übernatürliche Kräfte vermittelnden Sekte, festgenommen. Und wegen Mordverdachts wurde Qigong-Meister Wang Lin verhaftet, der im Ruf eines Rasputin für chinesische Wirtschaftsbosse steht.

Shi selbst hat sich seit einer Woche nicht mehr öffentlich geäußert. Zuletzt sah ihn ein Reporter der Rechtszeitschrift "Fazhi Zhoumo" am vergangenen Montag. Sein Foto zeigt Shi, bewacht von vier Mönchen. Eigentlich hätte der Abt am gleichen Tag in Thailand sein sollen, ließ sich aber wegen "unvorhergesehener offizieller Verpflichtungen" entschuldigen. (Johnny Erling aus Peking, 10.8.2015)