Rom – Zwei Tage nach dem jüngsten Flüchtlingsdrama vor der libyschen Küste werden immer grausamere Details zum Unglücksverlauf bekannt. So sollen die Schlepper bewusst 200 Menschen im Laderaum eingesperrt und so ihren Tod verschuldet haben. Der Rettungseinsatz ging auch am Freitag weiter, die Chance, noch Überlebende zu finden, war aber gleich null. Damit dürften mehr als 200 Migranten ertrunken sein, als der völlig überladene Fischkutter am späten Mittwochvormittag rund 15 Seemeilen vor der libyschen Küste sank.

Die rund 600 Flüchtlinge an Bord hatten noch einen Notruf abgesetzt, als das Boot in Seenot geraten war, drängten mit Eintreffen des ersten Rettungsschiffes jedoch alle auf eine Seite und brachten so den Fischkutter zum Kentern. Gut 370 Menschen konnten gerettet werden, aber auch 25 Leichen wurden bisher geborgen.

Schon von Anfang an habe sich der Fischkutter als seeuntauglich erwiesen. "Nach Beginn der Fahrt ist Wasser ins Boot geflossen. Hunderte Menschen waren an Bord, 200 im Laderaum", berichtete eine somalische Überlebende. "Das Wasser stieg im Boot, wir dachten, wir würden alle ertrinken. Es waren schreckliche Momente. Aus dem Laderaum kamen laute Hilferufe. Die Menschen flehten, ihnen die Tür zu öffnen, doch sie sind alle ertrunken", berichtete der 21-jährige Abdi Abdala nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur ANSA.

Fünf Schlepper festgenommen

Der Polizei in Palermo gelang es, basierend auf Zeugenaussagen fünf Männer aus Libyen und Algerien festzunehmen, bei denen es sich um die Schlepper handeln soll. Die 21- bis 25-Jährigen hatten sich nach dem Unglück unter die Flüchtlinge gemischt, ihnen wird mehrfacher Mord vorgeworfen. An Bord des Fischkutters sollen sie laut Berichten von Überlebenden mit äußerster Brutalität gegen die Migranten vorgegangen sein, sie geschlagen und mit Messern verletzt haben, um sie unter Kontrolle zu halten.

Bis zu 1.800 Dollar (1.650 Euro) hätten die Schutzsuchenden für die Überfahrt bezahlt. Jene, die nur die Hälfte des Fahrpreises zahlen konnten, seien unter Deck eingesperrt worden. Sie seien mit dem Boot untergegangen, sagten Augenzeugen.

Nachdem die italienische Küstenwache mithilfe der EU-Mission "Triton" allein am Donnerstag 1.200 schiffbrüchige Flüchtlinge gerettet hatte, darunter 600 von nur einem einzigen Boot, gerieten auch am Freitag wieder Hunderte beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, in Seenot. 113 Menschen wurden von einem havarierten Schlauchboot geborgen, weitere 128 von einem anderen Boot.

Im sizilianischen Augusta trafen unterdessen am Freitag die Leichen von 58 Migranten ein, die Mitte April mit rund 800 anderen beim bisher schlimmsten Flüchtlingsunglück im Mittelmeer ertrunken waren. Die Bergung durch die italienische Marine läuft seit Ende Juni und soll in den nächsten Tagen fortgesetzt werden. Lediglich 28 Menschen hatte die Katastrophe damals überlebt.

Anhaltende Kritik

Nach dem erneuten Drama wuchs auch die Kritik an den bisherigen Anstrengungen der EU-Staaten zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer und ihrer Aufnahme. "Es muss bessere Wege geben, damit Flüchtlinge nicht ihr Leben riskieren müssen, um in die Sicherheit Europas zu gelangen", forderte Melissa Fleming, Sprecherin des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR. Vertreter der Brüsseler EU-Kommission brachten ihre "große Trauer" über das Unglück vor der libyschen Küste zum Ausdruck. "Schon ein einziges verlorenes Leben ist eines zu viel", unterstrichen die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans und EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos in einer gemeinsamen Erklärung in Brüssel. (APA, 7.8.2015)