Oft eher das Gegenteil von Bewegung: Die ÖVP in den diversen Regierungen der letzten Jahrzehnte.

Matthias Cremer

Der grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon brachte vor kurzem via Facebook einen interessanten Gedanken in die innenpolitische Debatte ein. Zitat Reimon: "Jemand, der heute 48 ist, hat nach einer Stimmabgabe bei der Nationalratswahl noch nie etwas anderes als eine Koalition mit der ÖVP bekommen. Fast 30 Jahre sitzt diese Partei nun ununterbrochen in der Regierung." Und der ÖVP-Finanzstaatssekretär gibt ein Interview mit dem Titel "Der Staat zockt alle ab."

Für Reimon ist das – als Oppositionspolitiker verständlich – ein "brutal ehrliches Eingeständnis des totalen politischen Versagens". Wer die Sache etwas von außen beobachtet, kann sie freilich ganz anders interpretieren: Die ÖVP ist der Beweis dafür, dass man sich nicht besonders anstrengen muss, um in Österreich etwas zu gelten. Man muss nur wissen, wie man taktiert, intrigiert, lügt, Leute gegeneinander ausspielt und Zwietracht in den Reihen der anderen sät – schon ist man selbst immer vorne mit dabei. Und da wundert sich jemand, dass das Land langsam "absandelt", wie Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl dies einmal wortstark beklagte?

Kein Vorbild

Leitls Partei ist diesbezüglich wahrlich kein leuchtendes Vorbild. Ein einziges Mal seit 1966 war die ÖVP überhaupt Erster – bei den vorgezogenen Neuwahlen 2002, nachdem Jörg Haider die schwarz-blaue Koalition mutwillig in Knittelfeld hatte sprengen lassen. Ansonsten immer Zweiter hinter der SPÖ – oder sogar Dritter, wie 1999. Vor der Wahl damals hatte Parteichef Wolfgang Schüssel noch hoch und heilig versprochen, sollte dieser Fall eintreten, werde die ÖVP in Opposition gehen. Wenige Wochen später war er, mithilfe der populistischen, fremdenfeindlichen FPÖ und Jörg Haiders, Kanzler.

Politische Ranküne

Abgesehen von diesem singulären Meisterstück politischer Ranküne (das offenbar bis heute für so manchen schwarzen Granden nichts an Attraktivität eingebüßt hat), trägt die ÖVP für alle jene Probleme die (Mit-)Verantwortung, die sie selbst als solche benennt: hohe Abgabenquote, veraltetes Bildungssystem, zu geringe Ausgaben bei Forschung und Entwicklung, Reformunwilligkeit und -unfähigkeit des föderalen Staates (Stichwort Bundesstaatsreform), Frühpensions(un)wesen, Doppelt- und Dreifachförderungen, mangelnder Sparwille etc.

Ganz abgesehen von den Finanz- und Korruptionsskandalen, die Schwarz-Blau hinterlassen hat und die erst mühsam aufgearbeitet werden mussten.

Portion Unverfrorenheit

Es gehört eine ordentliche Portion Unverfrorenheit dazu, seit Jahrzehnten so zu tun, als sei dies alles nur ein Problem der "Roten", wie die Sozialdemokraten in schwarzen Kreisen wenig liebevoll genannt werden.

Es stimmt schon: Die SPÖ ist auch nicht gerade ein Musterbeispiel an Reformfreudigkeit, sie ist auch wahrlich kein Fundus politischer Visionen. Rote Gewerkschafter können mitunter mauern, bis der Zement knirscht, und die SPÖ-Spitze zieht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Boulevard-Schlagzeile dem inhaltlichen Fortschritt vor.

Kongeniale rote Partner

Die Sozialdemokraten sind auf diese Weise die kongenialen Partner der ÖVP. Man schenkt einander ein, und man schenkt einander nichts, und weiter geht sowieso nichts. Bei jedem Anlauf zu einer Bildungsreform durch SPÖ-Ministerinnen blockieren die schwarzen Gewerkschaftsvertreter, bei Sparversuchen im öffentlichen Dienst detto.

Will der (schwarze) Finanzminister seine Steuereinnahmen durch Kassabon-Pflicht erhöhen, schreien die schwarzen Wirtschaftsvertreter auf. Will die Regierung eine Transparenz-Initiative setzen und verbietet teure Geschenke an Amtsträger, hat sie ebenfalls "die Wirtschaft" als Gegner. Und die ÖVP-Innenministerin zerschellt in Asylfragen an roten wie an schwarzen Landeshauptleuten und Bürgermeistern.

Als Alfred Gusenbauer einst – frisch im Kanzleramt als Chef einer rot-schwarzen Koalition –, nach einem SPÖ-Bildungswahlkampf dann doch nicht die Studiengebühren abschaffte, weil die ÖVP das partout nicht wollte, skandierten die protestierenden Studierenden: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Immer mit dabei – Volkspartei." Dem ist wenig hinzuzufügen. (Petra Stuiber, 06.08.2015)