Bei Impulstanz: "Four remarks on the history of dance" von Piña/Zimmermann.

Kar Reynolds

Wien – Eine Anleitung zur Selbstwahrnehmung als spezielle Form der Choreografie bietet Anne Juren derzeit im Museum des 21. Jahrhunderts an. Bei Impulstanz lässt die aus Frankreich stammende Wiener Choreografin erstmals ihr neues Stück The Point spüren. Und Amanda Piña und Daniel Zimmermann bringen im Kasino am Schwarzenbergplatz das Elend der Ungleichsetzung verschiedener Kulturen zueinander auf den Punkt. Ihr neues Stück heißt Four remarks on the history of dance: Endangered human movements Vol. 1.

Beides ist brisant für unsere Gegenwart. In der wissen zwar alle um die Perversion, dass es zwar möglich ist, so tolle Maschinen wie einen Large Hadron Collider zu bauen, aber unmöglich zu verhindern, dass die Leute einander noch toller diskriminieren und umbringen. Unter dieser Voraussetzung sind Bemühungen wie die von Piña/Zimmermann, an den kulturideologischen Voraussetzungen für gegenseitige Auslöschung zu arbeiten, allemal begrüßenswert. Auch wenn dem renommierten Wiener Künstlerpaar die Umsetzung diesmal nicht so ganz gelungen ist.

Bedauerliche Verharmlosung

Four remarks on the history of dance bildet so etwas wie eine Kapsel um das selbstgesetzte Thema. Zu sehen sind erst die Arbeitsräume der Künstlerin und des Künstlers als groß auf die Leinwand projizierte Miniaturmodelle, ebenso der Aufführungsort, das Kasino am Schwarzenbergplatz. Die folgende Live-Vorführung indigener, vom Verschwinden bedrohter Tänze von vier Frauen in geisterweißen Kleidern hat dann etwas von einer Danse macabre. Das Thema erfährt eine bedauerliche Ästhetisierung und damit Verharmlosung des Desasters, gegen das diese Arbeit gerichtet ist. Dem sind Piña/Zimmermann in früheren Arbeiten wie War schon ein bisschen offensiver begegnet.

Generell könnten die zeitgenössische Performance und Choreografie mehr Mut und Konfliktfreude brauchen. The Point von Anne Juren hätte dieses Potenzial, aber die Künstlerin hält sich zurück. Das Publikum wird großflächig auf Matten im Museum des 21. Jahrhunderts gebettet. Da liegen kuschelige Decken. Bitte entspannen, die Augen schließen.

Schnarchen auf der Matte

Juren beginnt mit Anweisungen, wie man sie aus einschlägigen Workshops kennen kann. Den Körper spüren, diesen und jenen Teil davon so und so bewegen. Sehr schöne Wellness. Bald beginnt eine junge Frau auf ihrer Matte selig zu schnarchen. Nun führt Juren ihre Lauscherinnen und Lauscher zu Bildern von einer Hand, die unter die Haut dringt, ein bisschen das Gedärm und die Leber massiert. Die Genitalien werden auch nicht ausgelassen. Einige Mitperformer sorgen für die passende Schlabbergeräuschkulisse.

Richtig gut verspricht das zu werden, sobald Juren ersucht, man möge sich vorstellen, wie Zähne subkutan sanft an den Knöchelchen der Hände knabbern. Und weiter, wie eine überfahrene Katze auf der Straße liegt, mit deren Knöchelchen Kinder zu spielen beginnen. Was für ein Bild im Übergang von Wellness- zur Kunsterfahrung! Das wäre der eigentliche Beginn des Stücks gewesen. Aber genau hier führt Juren ein belangloses Licht- und Schattenspiel ein, in dem The Point sich verflüchtigt. Was für ein Versäumnis! Hoffentlich hat die Schnarcherin schön geträumt. (Helmut Ploebst, 31.7.2015)