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Der deutsche und der österreichische Finanzminister haben unterschiedliche Erfahrungen mit Arbeitslosenunterstützung ...

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... und der VP-Politiker Hans Jörg Schelling andere Ansichten als sein SP-Kollege Rudolf Hundstorfer.

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Finanzminister Hans Jörg Schelling hat in einem STANDARD-Sommergespräch unbeabsichtigt eine Bombe explodieren lassen, als er das Arbeitsloseneinkommen in Österreich für zu hoch und das deutsche Hartz-IV-Modell als Vorbild bezeichnet hat.

Seither hagelt es Wortmeldungen, die sich in zwei Gruppen aufteilen lassen:

Sie wollen nicht arbeiten

Die einen geben Schelling recht, weil sie immer schon vermutet haben, dass viele Arbeitslose gar nicht arbeiten wollen. Dazu gehören viele Unternehmer, die beschreiben, wie vom AMS geschickte Arbeitssuchende "nur einen Stempel" haben wollen, damit sie ihre Arbeitslosen- oder Notstandshilfe nicht verlieren. Niemand will solche Leute anstellen – und das ist zwar ganz in deren Sinne, aber nicht in dem der Gemeinschaft.

Dieselben Kritiker fragen sich, warum zehntausende Ostdeutsche nach Tirol kommen, um im Fremdenverkehr zu arbeiten, aber nur ganz wenige Burgenländer oder Waldviertler. Wenn der Anreiz zur Arbeitssuche so gering ist, so eine weitverbreitete Meinung, dann ist unser Sozialsystem einfach zu großzügig.

Miserable Jobs weit weg vom Wohnort

Die anderen werfen Schelling und Co Hartherzigkeit vor, wenn sie die ohnehin schon mageren Arbeitslosen- und Notstandszuwendungen weiter kürzen wollen oder Menschen zwingen wollen, miserable Jobs weit weg vom Wohnort anzunehmen. Niemand ist freiwillig und gerne in der Arbeitslosigkeit, sondern Jobs gehen durch die schwache Wirtschaft und die ständige Suche nach Gewinnsteigerungen in den Unternehmen verloren.

Wundermittel oder soziale Grausamkeit

Für die einen ist Hartz IV der Schlüssel zum deutschen Wirtschaftswunder, dank dem das Nachbarland heute eine geringere Arbeitslosigkeit hat als Österreich. Vor den Reformen der rot-grünen Regierung vor einem Jahrzehnt war es umgekehrt.

Die anderen sehen Hartz IV als System, das Menschen in prekäre Mini-Jobs mit so geringem Einkommen zwingt, dass sie von dem nicht einmal annähernd leben können – ein unmenschliches Modell, von dem nur die Unternehmen profitieren.

Schicksale und Wirtschaftspolitik

Dass in sozialpolitischen Debatten die Wogen und die Emotionen hochgehen, ist nicht verwunderlich. Hier geht es einerseits um menschliche Schicksale, andererseits um grundsätzliche wirtschaftspolitische Fragen. Menschen müssen vor den Folgen der Arbeitslosigkeit geschützt werden, und sie zahlen auch dafür ihre Versicherungsbeiträge.

Aber wenn die Anreize für Arbeitssuche zu gering werden, dann leidet nicht nur die Gemeinschaft, die Untätigkeit finanziert, sondern längerfristig auch der Betroffene, der irgendwann aus dem Arbeitsmarkt hinausfällt und damit auch die Chance für ein erfülltes Leben verliert.

Schwierige Balance

Mit diesem Problem ringen alle modernen Volkswirtschaften, egal, wer dort regiert. Ständig werden Systeme reformiert, Regeln geändert und Zuschusshöhen angepasst, um die richtige Balance zwischen sozialer Sicherung und einem dynamischen Arbeitsmarkt zu schaffen.

Auch in Österreich muss diese Diskussion gerade angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit geführt werden. Das heißt nicht, dass Schelling recht hat – er hat sich im Interview auch missverständlich ausgedrückt und lässt sich hier ein wenig von der Stimmung unter Unternehmern leiten. Auch eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, die Schelling danach ins Spiel gebracht hat, helfen wenig, hat AMS-Chef Johannes Kopf in der ZiB2 klargemacht.

Aber dass es überhaupt keinen Handlungsbedarf gerade bei der Unterstützung von Langzeitarbeitslosen gibt, wie es Sozialminister Rudolf Hundstorfer sagt, ist ebenso falsch. Die Leistungen der noch recht jungen Mindestsicherung sind für viele zu niedrig, für manche aber doch so hoch, dass sie aufhören, Arbeit zu suchen.

Frühpensionen und Automatisierung

Je stärker die Frühpensionen eingedämmt werden, desto dringender wird die Frage, wie auch Ältere im Arbeitsmarkt gehalten werden können, statt dass sie in die Notstandshilfe abrutschen.

Und je mehr traditionelle Jobs durch Automatisierung und Digitalisierung verlorengehen, desto größer wird der Druck für alle Bevölkerungsgruppen – auch für Höherqualifizierte –, neue Formen und Bereiche des Arbeitens zu erwägen und anzunehmen. Das mag sich im Vergleich zu vorher wie ein Abstieg anfühlen, ist aber besser als das Abgleiten in Langzeit-Beschäftigungslosigkeit.

Grundeinkommen funktioniert nicht

Kurz einige Gedanken dazu: Das bedingungslose Grundeinkommen, das von manchen Linken gefordert wird, gibt Niedrigverdienern viel zu wenig Anreize zum Arbeiten und verschärft dadurch das Problem, das es eigentlich lösen sollte. Verhindert werden kann das nur durch einen Sockelbetrag, den auch Arbeitende erhalten. Doch das wird dann einfach zu teuer.

Ein System von Billigjobs wie in Deutschland schafft Arbeit und drückt die Arbeitslosenquote, muss aber von einem recht großzügigen System von Sozialtransfers begleitet werden, damit kein verarmtes Prekariat entsteht. Das deutsche System ist insgesamt in der Umsetzung wohl zu streng, vom Ansatz her geht es aber in die richtige Richtung.

Streitthema Mindestlöhne

Aber warum nicht dafür sorgen, dass jeder, der arbeitet, so viel verdient, dass er davon leben kann? Dafür sollen Mindestlöhne sorgen, die es seit kurzem in Deutschland gibt. Auch hier haben die Gesetzgeber und Behörden ein Dilemma: Ein niedriger Mindestlohn nützt den Betroffenen wenig, ein hoher aber vernichtet Arbeitsplätze. Österreich hat keinen Mindestlohn, seine flächendeckenden Kollektivverträge haben den gleichen Effekt – und dürften dank der Vernunft der Sozialpartner das richtige Niveau haben.

Argumente für Negativsteuern

In vielen Ländern haben sich Negativsteuern bewährt, bei denen Niedrigverdiener eine Gutschrift vom Finanzamt erhalten, um zu einem akzeptablen Einkommen zu gelangen. Das ist auch das Lieblingsinstrument von marktwirtschaftlich denkenden Ökonomen, weil es die Anreize nur wenig verzerrt. Es ist daher seltsam, dass gerade die konservative britische Regierung ihre "income tax credits" kürzen und dafür den Mindestlohn erhöhen will – nach Meinung vieler Experten genau der falsche Ansatz.

Je weniger man sich in dieser Diskussion von Emotionen und Ideologien leiten lässt und je mehr von objektiven Studien und Fakten, desto besser kann das Ergebnis werden. In Österreich ist das noch nicht gelungen, aber die Chance dafür besteht. (Eric Frey, 30.7.2015)