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Traiskirchner Zustände: 1500 Menschen ohne Dach über den Kopf.

foto: apa/fohringer

Das Fatale an Unrechtszuständen ist, dass mit ihnen auf die Dauer ein Gewöhnungseffekt einhergehen kann. Die anfänglich laute Kritik wirkt weniger überzeugt, eine Art Abstumpfungsprozess findet statt.

Umso mehr, wenn von den Verantwortlichen suggeriert wird, dass es kurzfristig keine Auswege gibt – oder aber wenn naheliegende Lösungsstrategien ignoriert werden.

Fortgesetzte Obdachlosigkeit

Eine solche Entwicklung ist derzeit rund um die Quartierkrise bei Asylwerbern zu bemerken; konkret bei deren krassestem Ausdruck: der fortgesetzten Obdachlosigkeit von Flüchtlingen im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen.

Hatten vor wenigen Wochen noch Fotos vom am Lagergelände unter Bäumen campierenden Menschen für Aufregung gesorgt, so wird über diese harten Realitäten zunehmend kommentarlos hinweggegangen.

Auch Kinder und Babys

Doch nach wie vor sind laut aktueller Ministeriumsauskunft rund 1500 Männer, Frauen, ja, zuletzt auch Kinder und Babys gezwungen, nach mühevoller, vielfach lebensgefährlicher und traumatisierender Flucht aus Kriegs- und Elendsgebieten im reichen EU-Land Österreich auf einfachen Decken unter freiem Himmel zu nächtigen: ein Menschenrechtsskandal.

Das ist umso inakzeptabler, als es kurzfristig ja durchaus Abhilfe gebe. Was bitte außer Furcht vor weiterer Kritik hindert Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) daran, als Notmaßnahme zusätzliche Zelte am Traiskirchner Gelände aufstellen zu lassen? Diese würden zumindest die akute Obdachlosigkeit beenden.

Was hindert Mikl-Leitner?

Was hindert Mikl-Leitner daran, sämtliche vom Verteidigungsministerium seit Monaten angebotenen Kasernen endlich zu Flüchtlingsquartieren zu erklären? Dass das geschieht, ist geeignet, Theorien zu nähren, hier werde Österreich für Flüchtlinge möglichst unattraktiv gemacht.

Aber gibt es wirklich kein Druckmittel, um Innenministerium, Länderverantwortliche, Regierung, Behörden zu bewegen, den obdachlosen Flüchtlingen ein Dach über den Kopf zu verschaffen?

Verfügungen gegen Obdachlosigkeit

Vielleicht ja doch – wenn man einen Blick zurück in gar nicht so ferne Zeiten macht. 2004 gelang es mehreren in Asylfällen engagierten Anwältinnen und Anwälten, mehr als hundert einstweilige Verfügungen gegen die auch damals um sich greifende Flüchtlings-Obdachlosigkeit zu erwirken.

Die Sprüche wurden bestätigt, bis hin zum Obersten Gerichtshof. Sie verpflichteten das Innenministerium – das damals, vor der ab 2005 geltenden Bund-Ländervereinbarung, allein für die Asylwerberversorgung zuständig war – die Flüchtlinge in die Betreuung aufzunehmen.

Auf die Straße sitzen gelassen

Im Sinne der damals herrschenden rechtlichen Situation hieß das: ins Lager und dort in ein festes Quartier. Das war ihnen davor mit dem Hinweis verwehrt worden, das Lager sei überfüllt. Man hatte sie vor verschlossenen Toren auf der Straße sitzen lassen, kurz vor Weihnachten..

Dem widersprachen die Verwaltungssenate und Gerichte: recht kurzfristig, weil es sich um einstweilige Verfügungen handelte. Sie befanden, dass eine "Unterbringung" – und zwar nicht unter Bäumen – Teil des Versorgungsauftrags war, die Österreich bei Asylwerbern hat.

Auch heute rechtswidrig

Auch wenn sich das rechtliche Umfeld seither geändert hat, etwa was die Rolle EU-weit geltender Richtlinien angeht.: Es ist anzunehmen, dass es rechtlich auch heute nicht okay ist, Asylwerber unter freiem Himmel "unterzubringen" – selbst wenn dies am Areal eines Flüchtlingslagers geschieht.

Heißt, zusammengefasst: Die Gefahr, dass man sich in Österreich an unter Bäumen campierende Flüchtlinge gewöhnt, dies als nicht verhinderbaren Missstand in Zeiten hoher Asylwerberzahlen hinnimmt, ist gegeben.

Im Sinne der Menschenrechtskonvention

Eine solche völlige Abstumpfung gilt es zu verhindern! Vielleicht ja auch mit den Mitteln des Rechts, unter Hinweis auf das Verbot "unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung" laut Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention – um einen Ausweg aus dem unwürdigen passiven Hinschauen auf die dramatische österreichische Asylquartierkrise 2015 zu weisen. (bri, 26.7.2015)