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Türkische Panzer nahe Kilis an der Grenze zu Syrien: Die Türkei habe nicht die Absicht, einzumarschieren, versicherte Premier Davutoglu.

Foto: AP / Emrah Gurel

Ankara/Athen – Ganze 13 Minuten dauert der Angriff, mit dem die Türkei ihre politische Kehrtwende komplett macht und der Terrormiliz "Islamischer Staat" den Krieg erklärt. Als drei Kampfjets der türkischen Armee am frühen Freitagmorgen um 4.24 Uhr wieder auf dem Luftwaffenstützpunkt von Diyarbakir im Südosten der Türkei landen, steht das Land im militärischen Konflikt mit dem IS in Syrien. "Diese Operationen sind nicht auf einen Tag, auf ein Areal begrenzt", erklärte der amtierende Regierungschef Ahmet Davutoglu später in Ankara der Öffentlichkeit. Die Bedrohung durch den Deaş, wie in der Türkei der IS genannt wird, stehe "klar auf der Tagesordnung".

Das Premiersamt und die türkische Armee gaben am Freitag einen kurzen Bericht über diesen ersten Luftangriff auf den IS in Syrien. Demnach griffen die Kampfflugzeuge mit Lenkraketen zwei Hauptquartiere des IS und einen Sammelpunkt der Terrormiliz nahe des syrischen Dorfes Hawar an, an der Grenze gegenüber der türkischen Provinz Kilis. Die Kampfjets selbst sollen nicht in syrisches Gebiet eingedrungen sein. Damaskus wurde von der Operation nicht in Kenntnis gesetzt. Mindestens 35 Mitglieder des IS sollen bei dem Angriff getötet worden sein.

Umgehende Reaktion der Armee

Die Entscheidung für den Militärschlag wurde bei einer Sitzung des türkischen Sicherheitsrats am späten Donnerstag gefasst, Stunden nach einem Angriff auf Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze durch Kämpfer des IS. Ein Soldat wurde dabei getötet, zwei weitere verletzt. Die Armee, die ihre Artillerie entlang der Grenze in den vergangenen Wochen noch einmal erheblich verstärkt hatte, feuerte sofort zurück und zerstörte Fahrzeuge der Terrormiliz.

Davutoglu versicherte am Freitag gleichwohl, sein Land habe nicht die Absicht, in Syrien einzumarschieren. Die Türkei stünde aber einem "dreifachen Terror" gegenüber, erklärte der Regierungschef. Damit meinte er neben dem "Islamischen Staat" auch die kurdische Untergrundarmee PKK sowie die linksextreme Terrorgruppe DKHP-C, die zuletzt einen Staatsanwalt in seinem Büro im Istanbuler Justizpalast als Geisel nahm; der Beamte starb bei einem Befreiungsversuch.

Gleich nach dem Luftangriff in Syrien begannen in der Türkei landesweite Razzien gegen mutmaßliche Mitglieder und Anhänger der drei Gruppen. Schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei mit Masken und Tarnkleidung stürmten Wohnungen und riegelten Straßen ab. 297 Personen wurden dabei festgenommen, gab Davutoglu an. Eine mutmaßliche Terroristin der DKHP-C starb bei einer Schießerei mit der Polizei im Istanbuler Außenbezirk Bagcilar.

Rolle des Geheimdienstes

Staatschef Tayyip Erdogan traf sich in seinem Istanbuler Präsidentenpalast mit dem Leiter des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan. Der MIT hatte in der Vergangenheit Rebellengruppen in Syrien mit Waffenlieferungen unterstützt und dürfte wohl weiter auf syrischen Boden operieren. Journalisten versicherte Erdogan wie schon zuvor sein Premier Davutoglu, dass die militärischen Operationen fortgesetzt würden. Er forderte indirekt aber auch die PKK auf, ihre Waffen niederzulegen "oder Konsequenzen in Kauf nehmen".

Razzien und Militärschlag folgten auf Terrorattentate in dieser Woche: Am Montag sprengten sich einer oder mehrere Attentäter in der türkischen Grenzstadt Suruç in einem Park in die Luft und töteten dabei 32 junge Kurden; der Anschlag wird dem IS zugeschrieben. Am Dienstag wurden zwei Polizisten in einer anderen Stadt nahe der syrischen Grenze in ihrer Wohnung erschossen; die PKK bekannte sich zu dieser Tat und bezeichnete sie als Vergeltung für den Anschlag in Suruç. Am Donnerstag erschossen Bewaffnete einen Polizisten in Diyarbakir auf der Straße.

Erdogan hatte am Mittwochabend erstmals wieder mit US-Präsident Barack Obama telefoniert. "Für uns ist Deaş eine Terrororganisation", habe er in dem Gespräch betont, sagte Erdogan. (Markus Bernath, 24.7.2015)