STANDARD: Ein Video zeigt die britische Queen Elizabeth II als Mädchen und ihre Mutter, beide heben den Arm zum Hitlergruß. Waren die britischen Royals in den 1930er-Jahren Sympathisanten der Nazis?

Urbach: Das kann man so sicher nicht sagen. Es gibt wie in jeder anderen Familie auch bei den Royals unterschiedliche Meinungen. Und wir wissen insgesamt zu wenig. Eines ist klar: Edward VIII ...

STANDARD: ... der 1936 nur knapp elf Monate auf dem Thron saß ...

Urbach: ... war beeindruckt von den Sozialprogrammen der Nazis. Er fand auch den italienischen Faschismus gut. Er besaß enge Verbindungen zu den deutschen Verwandten der Häuser Hessen und Sachsen-Coburg, in denen sich viele überzeugte Nazis tummelten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er in Paris mit dem britischen Faschistenführer Oswald Mosley befreundet und machte gern im Spanien der Franco-Diktatur Urlaub.

STANDARD: Und sein Bruder, der ihm als Georg VI nachfolgte?

Urbach: Der gehörte zum Mainstream der Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler. Das Gleiche gilt für seine Mutter, Queen Mary, und für seine Frau Elizabeth, die spätere Queen Mum. George unterstützte Premier Chamberlain. Nach dessen Rücktritt im Mai 1940 wollte er den Erz-Appeaser Halifax als Nachfolger, nicht den Hitler-Gegner Churchill.

STANDARD: War der Hitlergruß vielleicht scherzhaft gemeint? Viele Zeitgenossen fanden Hitler ja auch pompös und lächerlich.

Urbach: Das sehe ich nicht so. Man behauptet, damals hätten englische Kinder den Hitlergruß nachgeäfft. Das kam erst sehr viel später. Queen Mum wusste genau: Das ist eine politische Geste. Die Königsfamilie verfügte über genaue Informationen des Foreign Office darüber, was in Deutschland los war. Die Times beschrieb schon im Juli 1933 die Treibjagden auf Andersdenkende, das Lynchen jüdischer Mitbürger.

STANDARD: Das Video erregt auch deshalb so viel Aufsehen, weil die Einstellung führender Royals gegenüber Nazideutschland noch immer unklar ist. Sie beklagen schon seit längerem, dass Historiker für die Zeit seit 1918 keinen Zugang zum Royal Archive erhalten.

Urbach: Ich halte das für einen Skandal. Zugang gibt es nur, wenn man sich der Zensur der Höflinge unterwirft.

STANDARD: Hat die Queen denn kein Recht auf Privatsphäre?

Urbach: Mich interessieren ja nicht die Erbkrankheiten und Sexgeschichten. Hier geht es um politische Geschichte. Die Königsfamilie gehört zum konstitutionellen Fundament des britischen Staates. Die Royals waren und sind sehr viel politischer, als man denkt. Im Übrigen wird das Royal Archive teilweise aus Steuergeldern finanziert. Dann sollten Wissenschafter auch den entsprechenden Zugang erhalten.

STANDARD: Aber es ist doch auch ein Privatarchiv, schließlich geht es um den Vater und Onkel der amtierenden Monarchin.

Urbach: Der Vater, Georg VI, ist seit 63 Jahren tot, Edward VIII starb 1972. Es gibt auch in anderen Archiven Veröffentlichungsfristen von beispielsweise 30 oder 40 Jahren, dagegen habe ich ja nichts. Die Geschehnisse, über die wir sprechen, liegen 75, 80 Jahre zurück. Und es geht um politische Einflussnahme auf höchster Ebene. Das geht die Öffentlichkeit an. (Sebastian Borger aus London, 22.7.2015)