Frauen als selbstbewusst agierende, aber auch Schwächen thematisierende Wesen: Elina Pirinens "Personal Symphonic Moment" ...

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... und Barbara Kraus' "Close my eyes and see".

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Wien – Ausgetrickst habe der sowjetische Komponist Dmitri Schostakowitsch das diktatorische "Väterchen" Stalin und dessen Musik-Dobermann Andrej Schdanow, heißt es. Welche Motive etwa in der Leningrader Symphonie (der Siebenten) als subversive Untertöne integriert sind, ist bis heute Thema von Diskussionen. Die 1981 geborene finnische Choreografin Elina Pirinen hat 2013 aus dem Werk (uraufgeführt 1942) ein Personal Symphonic Moment generiert: ein Tanztrio, das jetzt auch in der Reihe [8:tension] bei Impulstanz zu erleben ist. Das Stück dauert so lange wie die Symphonie, und Pirinen bringt es fertig, den darin geladenen historischen Politikdiskurs in einen gegenwärtigen zu transferieren. Dafür wurde das Stück bisher in höchsten Tönen gelobt.

Zum Verhältnis zwischen dem Komponisten und dem Massenmörder gibt es ein spannendes Buch von Schostakowitschs Mitarbeiter Salomon Wolkow. Schostakowitsch lebte bis zum Beginn der Belagerung durch die NS-Truppen in Leningrad, wurde mit seiner Familie ausgeflogen und konnte so seine Siebente fertigstellen. Die wollte Stalin auch im kriegsverbündeten Westen erklingen lassen, und so gab es noch im Jahr der Fertigstellung Erstaufführungen in London und New York.

Elina Pirinen, die lange klassische Musik studiert hat, konzentrierte sich bei ihrer Analyse der Symphonie auf deren affektiven Gehalt, auf die emotional überwältigende Kraft der Komposition. Und sie macht, was zu unserer Selfie-Gegenwart am besten passt, eine "persönliche" Affäre daraus: "Und so fing ich an, sie als Apotheose der Menschlichkeit zu behandeln."

Lange im Dunkeln

Das klingt bieder. Aber so ist das Stück nicht geworden. Zu Beginn wird das Publikum lange im Dunkeln mit dem ersten Satz der Symphonie alleingelassen, bevor sehr langsam Licht aufdämmert und den Blick auf eine träge in halber Bühnenhöhe des Odeontheaters dräuende Wolke freigibt. Aus dem Hintergrund lösen sich drei Grazien, die in strenger Ordnung vorwärtsschreiten, bevor diese Strenge in Verwirrung gerät.

Pirinen will hier zusammen mit ihren Tänzerinnen Kati Korosuo und Katja Sallinen zeigen, wie es stabil jugendlichen Thirtysomethings in einem reichen Staat wie Finnland heute so geht. Die Bilanz ist beeindruckend direkt: Drei Frauen als selbstbewusst agierende, aber desorientierte Ego-Nerds torkeln mit wachsender – auch gegen sich selbst gerichteter – Aggressivität durch einen Treibsand aus Identitätsfragen, Pornoelementen und schwer zu bewältigender Ambivalenz. Zwischendurch plaudern sie nonchalant über banale Privatangelegenheiten, führen einen entzückenden Chor aus schwarz gekleideten Kindern vor. Zarte Stimmen singen: "Der Mond ist aufgegangen ..."

Am Ende kehren die drei Tänzerinnen in die anfänglichen Ordnungsmuster zurück, feiern ihren Rückzug, lassen sich von Licht und Musik auflösen. Die Frage, mit welcher Form von Diktatur sie selbst zu tun haben, lassen sie nicht ganz offen. Barbara Kraus wird in ihrem Solo Close my eyes and see deutlicher. Sobald sie allerdings Kapitalismuskritik einfließen lässt, ertönt genervtes Seufzen aus junger Brust im Auditorium. Kraus feiert ihre Begegnung mit ihrem Publikum trotzdem. Und die Wiener Performancekünstlerin riskiert, wie so gut wie immer in ihren Arbeiten, Kopf und Kragen.

Das ist ihre Methode: Das Scheitern wird bewusst provoziert, und verlässlich tritt es als unsichtbarer Helfer auf. Die Performerin zerfällt, immer aus dem Moment heraus handelnd, in mehrere Persönlichkeiten, ruft Gespenster, dringt ins Publikum vor, scheut weder Witz noch Peinlichkeit. Auf der Bühne stehend, registriert sie mit geschlossenen Augen, was in den Sitzreihen vor sich geht, spricht das Husten und den Gebrauch der Mobiltelefone an, verbindet diese Unruhe mit der Musikphilosophie von John Cage. Kraus wagt es, der Tanz- und Performance-Leistungsgesellschaft, wie sie auch Pirinen vertritt, ihre Schwächen vorzuführen. Und sie macht es so überzeugend, dass sie am Ende begeisterten Applaus erntet.

Riskant ist schließlich auch die White-Cube-Adaption des Stücks Monique der aus Frankreich stammenden Wiener Choreografin Alix Eynaudi in einem Videoinstallationssaal der Mumok-Ausstellung Mein Körper ist das Ereignis. Der Zusammenhang zwischen den Bondagemotiven in den Videos und in dem Duett mit Mark Lorimer ist schlüssig, und im strahlenden Weiß des hell erleuchteten Raums wird das gelungene Bühnenoriginal zu einem richtigen Nahperformance-Erlebnis. Dieses Close-up bringt Eynaudi und Lorimer in echte Bedrängnis – was zur Fesselungskunst bestens passt. (Helmut Ploebst, 19.7.2015)