Als Reaktion auf die Bildung der rot-blauen Koalition im Burgenland hat der Wiener Bürgermeister Michael Häupl seinen Abgrenzungskurs gegenüber der FPÖ noch verstärkt. Ein Schritt, der ihm Applaus bei Kommentatoren einbringt. Doch die Mehrheit der Wiener, das zeigt die jüngste STANDARD-Umfrage, sieht das als Fehler.

Sollte Häupl deshalb so wie sein Parteifreund Hans Niessl die Tür zu Rot-Blau offenhalten? Sicher nicht: Es gibt keinerlei Hinweis, dass Niessls Tabubruch in Eisenstadt den Sozialdemokraten etwas gebracht hat, weder in Eisenstadt noch in Wien. Im Gegenteil: Der Verzicht auf antifaschistische Grundwerte schwächt den Zusammenhalt der Genossen und droht der Partei weitere Stimmen zu kosten.

Bei Meinungsumfragen, die es möglich erscheinen lassen, dass die Blauen am 11. Oktober in Wien die Roten überholen werden, ist es verständlich, dass verzweifelt nach Gegenmitteln für die blaue Herausforderung gesucht wird. Die traurige Wahrheit für Häupl ist: Es ist keines in Sicht.

Die Konstellation einer seit 70 Jahren regierenden Partei mit starken Abnützungserscheinungen und fragwürdigen Geschäftspraktiken, einer zerstrittenen Stadtregierung, einer unkontrollierbaren Flüchtlingswelle, einer wachsenden Wohnungsknappheit und einer steigenden Arbeitslosigkeit ist ein gefundenes Fressen für jede Opposition. Eigentlich wäre Wien für einen Machtwechsel reif, so wie ihn alle europäischen Großstädte irgendwann in der Nachkriegszeit erlebt haben. Doch in Wien stellt sich das Problem, dass die einzige ernsthafte Alternative zur Häupl-SPÖ eine Truppe ist, die zwar verbal randalieren (und reimen) kann, aber sicher nicht regieren.

Gerade das erleichtert es frustrierten Wählern, ihr Kreuzerl bei der FPÖ zu machen. Sie müssen ohnehin nicht fürchten, dass Heinz-Christian Strache Bürgermeister wird. Die Häupl-SPÖ scheint macht- und ratlos gegenüber dieser Dynamik zu sein: Wenn sie Strache offen angreift, wertet sie ihn auf. Ignoriert sie ihn, gibt sie ihm freien Lauf. Spricht sie über die grundsätzlich positive Wiener Integrationspolitik, dann ruft sie erst recht das Ausländerthema ins Bewusstsein. Tut sie es nicht, setzt sie sich dem Vorwurf aus, die heißen Themen zu ignorieren.

Und wenn man kein Glück hat, kommt das Pech hinzu. Das Antreten einer eigenen, Erdogan-freundlichen Türken-Liste könnte auch ohne Chance auf Einzug in den Gemeinderat die SPÖ weitere Prozentpunkte kosten.

Die sinkende Popularität von Werner Faymann färbt auch auf die Stadtpartei ab; dadurch gerät Häupl unter Druck, für einen Wechsel an der Bundesspitze zu sorgen. Doch ein Putsch kurz vor der Wien-Wahl würde wohl alles noch schlimmer machen: Eine echte Integrationsfigur ist in der SPÖ nicht in Sicht; Flügelkämpfe würden das Image der Sozialdemokratie beschädigen und die Funktionäre im Wahlkampf demotivieren.

Das heißt, die SPÖ muss sich durch den Wahlkampf durchbeißen, hoffen, dass die eigenen Leute doch noch wählen gehen, und darauf setzen, dass sich trotz aller FPÖ-Zuwächse am Ende eine knappe Mehrheit für Rot-Grün ausgeht. Und dann könnte Häupl endlich jenen Neubeginn in der Partei einleiten, den er davor verabsäumt hat – und dabei mit sich selbst beginnen.

Manchmal gibt es einfach keine befriedigenden Optionen. Aber dass es überhaupt so weit kommt, ist meist die Folge langfristiger politischer Fehler. (Eric Frey, 20.7.2015)