"Eine ganz wichtige Voraussetzung für das Ansprechen bildungsbenachteiligter Gruppen ist der kostenlose Zugang", sagt Karoline Iber über die Kinderuni Wien.

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2003 organisierte das Kinderbüro der Uni Wien erstmals die Kinderuni Wien. Mit welchen Maßnahmen Kinder aus bildungsfernem Umfeld erreicht werden sollen, wie sozial inklusiv sie das heimische Bildungssystem erlebt und wieso Österreich einen freien Hochschulzugang braucht, erklärt Karoline Iber, Geschäftsführerin des Kinderbüros.

Disoski: Seit 2003 organisiert das Kinderbüro der Uni Wien im Sommer die zweiwöchige Kinderuni Wien. Welche Idee steckt dahinter und welche Ziele verfolgen Sie?

Iber: Wir wollten die neugierigsten Menschen der Welt mit jenen zusammenbringen, die die Neugierde zum Beruf gemacht haben, also Kinder mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern. Und das machen wir nun seit 2003 mit großer Begeisterung für beide Seiten: Kinder begeistern Wissenschafterinnen und Wissenschafter und Wissenschafterinnen und Wissenschafter begeistern Kinder. Ganz wichtig ist uns, dass wir Kinder erreichen, die mit der Uni noch nie in Kontakt waren – also Kinder aus einem bildungsfernen Umfeld oder Kinder, deren Eltern in Österreich noch nie den Boden einer Uni betreten haben. Unser Ziel ist, dass alle Kinder die Möglichkeit haben, die Universität zu entdecken und vielleicht draufzukommen, dass das ein spannender Ort ist, an den sie als erwachsene Studierende zurückkehren wollen.

Disoski: Wie erreichen Sie Kinder aus bildungsfernem Umfeld?

Iber: Eine ganz wichtige Voraussetzung für das Ansprechen bildungsbenachteiligter Gruppen ist der kostenlose Zugang. Die Kinderuni Wien ist dank Fördergebern und Wirtschaftssponsoren kostenfrei. Aber wir wissen: gratis ist nicht genug. Es braucht viel Information und ein ehrlich gemeintes Willkommen. Informationen gibt's bei uns in fünf verschiedenen Sprachen, die an viele verschiedene Multiplikatororganisationen verschickt werden.

Manche Kinder schaffen den Weg allein, manche aber nicht. Daher vergeben wir seit einigen Jahren Kinderuni-Tagestickets: Kinder, deren Eltern sie nicht beim Besuch der Kinderuni Wien unterstützen können, werden von uns unterstützt, im Flüchtlingsheim, Lerncafé oder im Familienzentrum abgeholt, an die Kinderuni begleitet und nach einem Mittagessen in der Kinderuni-Mensa wieder nach Hause gebracht. Ohne diese Unterstützung würden diese Kinder nicht teilnehmen können.

Im August schicken wir die Kinderuni auf Tour durch Wiener Parks in Kooperation mit Parkbetreuungen. Da erreichen wir die Kinder, die ihren Sommer im Park verbringen, die allermeisten haben das Wort Universität noch nie gehört und viele von ihnen kennen außer Richterinnen, Richtern, Ärztinnen und Ärzten – mit denen sie wenig Positives assoziieren – keine Menschen, die an der Uni waren. Wir hoffen, dass wir neue Eindrücke von Universität bei diesen Kindern hinterlassen können und vor allem eine Freude am Wissen und an Neuem.

Disoski: Mit der "Lebendigen Kinderuni-Elternbibliothek" gibt es auch ein Angebot für Eltern. Was genau erwartet sie?

Iber: Einige Eltern unserer Tagesticketkinder erzählen anderen Eltern Geschichten aus ihrem Leben. Die Geschichten handeln von einem früheren Leben in anderen Ländern, erzählen von Flucht und Neuanfang, darüber, wie sie mit ihren Kindern leben – mit all den Schwierigkeiten und Freuden. Wir haben das Format im letzten Jahr schon mal ausprobiert und es kam zu wunderbaren Begegnungen. Die Eltern, die zuhörten, waren begeistert und berührt. Die Eltern, die erzählt haben, haben uns rückgemeldet, dass ihnen das so gut getan hat, so viel Interesse zu erleben. Das hat sie sehr gestärkt – auch dass sie den Mut hatten, ihre Geschichte zu erzählen.

Disoski: Soziale Inklusion und Chancengleichheit sind Leitgedanken der Kinderuni, wie bewerten Sie das heimische Bildungssystem diesbezüglich?

Iber: Unsere Flüchtlingsfamilien sagen zu dieser Diskussion, sie seien froh, dass ihre Kinder überhaupt zur Schule gehen können. In ihren Herkunftsländern ist das oftmals anders, insbesondere für Mädchen. Darüber müssen wir hier nicht mehr diskutieren, da läge es nur an uns, uns dafür einzusetzen, dass Schule weltweit für alle möglich wird. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir mit unserem Schulsystem zufrieden sein können. Wir wissen aus vielen Studien, dass Österreich betreffend soziale Mobilität und soziale Durchlässigkeit Schlusslicht im europäischen Umfeld ist. Eine gemeinsame Schule war schon ein Traum, als ich noch Schülervertreterin war, und das ist doch auch schon mehr als 25 Jahre her. Heute diskutieren wir noch immer darüber.

Disoski: Die Uni Wien ist die größte Forschungs- und Bildungseinrichtung in Österreich. Wie ist es um die Vielfalt der Uni Wien bestellt?

Iber: Ich bin seit 15 Jahren an der Uni Wien und ich sehe: In der Frauenförderung ist viel passiert, bei der Unterstützung von Eltern im Unibetrieb und beim Thema Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen. Internationale Teams aus Forscherinnen und Forschern sind eine Selbstverständlichkeit, und es gibt mittlerweile eine eigene Abteilung, die sich mit Diversity Management beschäftigt. Die Regenbogenfahne, die an der Uni Wien bei der Parade gehisst wird, das war vor zehn Jahren noch ein Tabubruch und ist heute normal. Aber selbstverständlich ist das Bemühen nie genug, mit der Förderung von Vielfalt wird man in so einer großen Organisation nie fertig. Trotzdem freue ich mich schon auf geplante Projekte der Universitätsleitung, die etwa zum Ziel haben, mehr Studierende mit Migrationshintergrund anzusprechen.

Disoski: Die Kinderuni Wien ist kostenlos zugänglich. In der Politik flammt regelmäßig die Diskussion über die Wiedereinführung der Studiengebühren auf. Was sagen Sie dazu?

Iber: Das ist eine diffizile Frage. In unserem Land wird viel in Hochschulbildung investiert, von diesen Investitionen aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler profitieren derzeit überdurchschnittlich mehr junge Menschen aus privilegiertem Umfeld und die Beiträge leisten viele, die weniger Bildungsangebote nutzen. Die Kinder der gutverdienenden Ärztinnen, Ärzte, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte würden bei Studiengebühren nicht vom Studium abgehalten werden. Die Kinder der Manager von heute, die laut Soziologen Hartmann mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Managerinnen und Manager von morgen werden, suchen sich in der globalisierten Ausbildungswelt schon jetzt internationale Eliteuniversitäten mit hohen Studiengebühren, die aber nicht zuletzt durch frühe Netzwerkbildung auch hohe Karrieren in Aussicht stellen.

In unserem System, das auf einem offenen Schulsystem ohne Schulgelder aufbaut, muss ein offenes Hochschulsystem anschließen – vor allem eines, das "non traditional"- und "first generation"-Studierende, die ohnedies viele soziale Barrieren zu überwinden haben, nicht ausgrenzt und abschreckt. Und Studienbeiträge, so wie wir sie schon mal in Österreich kennengelernt haben, waren da nicht besonders hilfreich. (Meri Disoski, 21.7.2015)