Lebemann, Autor, bedeutender Publizist: Karl Tschuppik.


Foto: Milena-Verlag/ÖNB

Es gibt wenig, das in Wien an Karl Tschuppik erinnert. Sein auf Friedhofszeit erworbenes Grab auf dem Heiligenstädter Friedhof – unweit davon liegt Ödön von Horvath, dessen Trauzeuge er war – wurde 1999 wegen mangelnder Betreuung aufgelassen.

Und obwohl es Versuche (etwa von Klaus Amann oder von Hans Weigel) gab, Tschuppik zurück ins öffentliche Gedächtnis zu rufen, erstaunt es, dass dieser 1876 in Horowitz geborene Autor und Journalist, der Chefredakteur des Prager Tagblatts, Herausgeber des Neuen Wiener Tagblattes, Mitarbeiter der pazifistischen Zeitschrift Der Friede, Chefredakteur der Stunde (was ihm den Hass von Karl Kraus einbrachte) und eine der schillerndsten und streitbarsten Persönlichkeiten der Zwischenkriegszeit war, dermaßen in Vergessenheit geraten konnte.

Das mag auch daran liegen, dass Tschuppik politisch zwischen allen Stühlen zu sitzen kam. In seiner Jugend sei Tschuppik, wie sein Freund Joseph Roth schreibt, "gegen die Sozialdemokraten mit Dogmabärten gewesen, gegen die ,großdeutschen' Historiker" und "gegen die verderblichen Minister, die nach den Hohenzollern spähten, während sie Habsburg dienten." Später kämpfte Tschuppik, so Roth weiter, gegen die "Verengung des österreichischen Horizonts", gegen die "Blut-und-Boden-Fanatiker", gegen den "Anschluss und am Schluss gegen die Hitlerei".

Herzschläge

Tschuppik, der nicht nur ein äußerst produktiver Schreiber, sondern auch ein geselliger Mensch, Kaffehausinsasse und Kenner des Prager Biers ebenso wie des Wiener Heurigenweines war, hat neben hunderten von Leitartikeln in den 1920er-Jahren auch kritische Biographien über Franz Joseph, Maria Theresia, Kaiserin Elisabeth und den deutschen General Ludendorff verfasst. 1937 erschien dann kurz vor Tschuppiks Tod sein einziger Roman Ein Sohn aus gutem Hause, den Karin Brandauer 1988 verfilmte. Nun ist das Buch – endlich- vom Milena-Verlag wiederaufgelegt worden.

Die Handlung, oder besser das Schicksal, nimmt im Roman Anfang des 20. Jahrhunderts im Wiener 19. Bezirk seinen Lauf, als Max d'Adorno, er ist gerade zwölf geworden, seine Mutter verliert. Sie ist nicht tot, hat sich aber auf eine Affäre mit einem Repräsentanten des Kaiserhauses, es ist von einem Prinzen die Rede, eingelassen, der unangenehmerweise beim Rendezvous das Zeitliche segnet. Herzschlag! Über die peinliche Affäre wird, auch weil Max' Vater ein hoher Ministerialbeamter ist, der Mantel des Schweigens gebreitet, des Bleibens der Mutter in der Familie ist hingegen nicht.

Max, nun Halbwaise, wird nach Prag ins Gymnasium geschickt und lernt ein junges Ding, vor allem aber den berüchtigten Oberst Redl kennen. Es dräut also der nächste Skandal. Max wird daher in eine mährische Kadettenanstalt verfrachtet, wo sich der angehende Soldat in eine Liebesaffäre mit Frau Rittmeister von Barco verwickelt. Zeitgeschichtlich, man schreibt die 1910er-Jahre, dräut allerdings weit Schlimmeres.

Das alles klingt nach viel Herzschmerz, Melancholie, Verrat und es liegt am Können des Autors, dass dieser sentimentale, atmosphärische Roman über einen Heranwachsenden, der zwischen die Mühlsteine der Zeitgeschichte und in das Fegefeuer von Liebe und Eifersucht gerät, nicht ins Kolportagehafte abrutscht.

Zudem, und darin erinnert das Buch an ähnliche Werke von Roth oder Lernet-Holenia, analysiert Tschuppik die gesellschaftlichen und familiären Strukturen im wankenden Habsburgerreich sehr genau. Auch indem er historische Wendepunkte wie die Schlacht bei Königgrätz thematisiert.

Es ist eine Stimmung der Enge in einer stark hierarchisierten, elitenorientierten Gesellschaft, die der Roman, durch den sich Kasernengestank und der Mief von Schul- und Amtsstuben zieht, heraufbeschwört. Kaum zufällig verweist der Familienname des Protagonisten auf ein in der Monarchie bedeutendes Geschlecht, dessen Stammvater Marquis Botta D'Adorno sagte: "Wir herrschen nicht, die anderen dienen."

Es ist etwas faul im Staate Habsburg, den Tschuppik beschreibt. Doch trotz allem ist es ein sanfter, ja verklärter Blick, den der Autor auf jene Zeit wirft. Dies wohl auch deshalb, weil er wie Joseph Roth und Stefan Zweig beim Abfassen dieses lesenswerten Romanes wusste und am eigenen Leib erfahren hat, was auf sie folgen wird. (Stefan Gmünder, 17.7.2015)