Graz – Antisemitismus, Ablehnung von Demokratie und Toleranz und die Bildung von oft skurrilsten Mythen: Das sind die prägnanten Eigenschaften, die Jihadisten und Rechtsextreme heute gemeinsam haben, sagt Robert Schweidlenka, Sektenexperte und Leiter der Servicestelle für Jugendliche des Landes Steiermark "Logo-ESO-Info" (ESO steht für Esoterik, Sekten, Okkultismus).

Er präsentierte am Mittwoch gemeinsam mit der neuen Jugendlandesrätin Ursula Lackner (SPÖ) den ESO-Jahresbericht über die Entwicklung radikaler religiöser und politischer Bewegungen in Österreich. Titel des Berichts: "Sie nagen an den Wurzeln unserer Demokratie." Entwarnung kann leider nirgendwo gegeben werden. Im Gegenteil: Sowohl Möchtegern-Gotteskrieger als auch neue Rechte, die vor allem in der Identitärenbewegung, die ihr Zentrum in Österreich in Graz habe, vermehren sich. Sie nutzen dabei beide weiter die Möglichkeiten des Internets für ihre "Heilslehren".

Propaganda 2.0

Der junge Wissenschafter Stefan Ederer publizierte gerade die über 70 Seiten umfassende Broschüre "Propaganda 2.0 – Über den Alltag radikalisierter Jugendlicher im Netz". Darin werden Begriffe wie Salafismus, der nicht mit Jihadismus oder Terrorismus gleichzusetzen sei, ebenso erklärt wie das Verhalten der sinnsuchenden Jugendlichen auf Facebook. Das missionarische Ködern von Jugendlichen verlaufe "nicht hierarchisch", erklärt Ederer, "es sind Teenager, die das einfach weiterverbreiten". Für sie sei Facebook eine "parallele Schiene des Lebens, nicht weniger real als die echte Welt", weshalb Facebookpostings für sie "mündlicher Beeinflussung nahe kommen".

Für Schweidlenka, der seit Jahrzehnten in der Sektenberatung für Jugendliche, Eltern und Lehrer tätig ist, sind Jihadismus und Rechtsextremismus wie Sekten: Wenn Jugendliche erst einmal in der festen Überzeugungen drinnen seien, käme man nicht mehr an sie heran. Bis dahin gelte: "Immer mit ihnen reden, dabei kann man schon viel klären, den Kontakt nicht abreißen lassen." Man dürfe als Elternteil aber auch nicht den Punkt übersehen, an dem man die Polizei einschalten müsse. Die gute Nachricht: Viele Jugendliche sind nur in einer sensiblen Phase ihres Lebens empfänglich für radikale Ideen. Sie suchen Utopien, "die in unserer Gesellschaft heute fehlen".

Fortbildung für Lehrer zahlen

Bis es aber so weit komme, helfe nur Prävention, und hier rede sich Schweidlenka seit über 20 Jahren den Mund fusselig. Es gebe "punktuell Beratungen für Lehrer und Kooperationen mit Schulen", doch das reiche längst nicht. "Man müsste Lehrern solche Fortbildungen auch zahlen", sagt Schweidlenka, der selbst eine neue Broschüre für Schulen vorstellte, die den Titel "Jihadisten, Arische Gotteskrieger und der Mann, der Mahatma Gandhi erschoss" trägt.

"Ganz persönlich" warne Schweidlenka: "Nach dem Krieg haben alle Parteien den Sozialstaat als Bollwerk gegen Extremismus aufgebaut. Je mehr wir jetzt davon wegschnippeln, desto gefährdeter ist unsere Jugend." Junge Menschen suchten nach einer Identität, nach Strukturen, wo sie "jemand sind". Für unerfahrene Kids seien Mythen wie das Kalifat oder das Vierte Reich (der fiktive Nachfolger des Dritten Reiches der Nazis) der Rechtsextremisten ein "antikapitalistischer Gegenentwurf" zu unserer Gesellschaft. Vorrübergehend finde man dann sogar Struktur darin, "dass man plötzlich fünfmal am Tag beten muss".

Neben dem Erstarken radikaler Jihadisten und Rechtsradikaler listet der Jahresbericht aber auch skurrile neue Esoteriktrends auf, die unter dem Deckmantel des Regionalismus auch antidemokratische Formen anstreben. Aus Russland fand zuletzt die "Anastasia-Bewegung" mit einem Mix aus esoterischen und rechtsextremen Ideen und Verschwörungstheorien ihren Weg in die Steiermark. Ihre "Bibel" ist das Buch "Anastasia, Tochter der Taiga" des Autors Wladimir Megre. Dessen Bücher erschienen auf Deutsch in einem der Hare-Krishna-Sekte nahestehenden Verlag. (Colette M. Schmidt, 15.7.2015)