In der "Gruft-Boutique" werden gegen eine Spende T-Shirts abgegeben, die in Workshops ein künstlerisches Upcycling erfahren haben. An den Wänden: Sehnsüchte und Berufswünsche von Obdachlosen.

Foto: Iris Andraschek / Hubert Lobnig

Wien – Geschossen wurde in der Nacht: Seit 24 Jahren hält ein Stück Kunst im öffentlichen Raum im Wiener Esterházypark, hoch oben an einem der sechs Wiener Flaktürme, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wach. Nur zwei Zeilen, "Smashed to pieces (in the still of the night) – Zerschmettert in Stücke (im Frieden der Nacht)", hat der New Yorker Konzeptkünstler Lawrence Weiner damals auf den Stahlbeton schreiben lassen.

Aber inzwischen ist der Schriftzug so alltäglich, ja beinahe unsichtbar geworden. Auch die monströsen Gebäuderiesen gehören zur Normalität. Mit dem Haus des Meeres, der Kletterwand und dem Park wurde aus dem Leitturm im sechsten Bezirk ein lebendiges Stück öffentlichen Raums, in dem Museumsbesucher auf Sportler, junge Familien auf Punks, Obdachlose auf Touristen treffen – vielleicht nicht immer spannungsfrei.

Der öffentliche Raum als Ort, wo ein Miteinander ausverhandelt wird, wo sich Menschen auf verschiedenste Art "begegnen", ist nun Thema eines dort im Grätzel andockenden Ausstellungsprojekts (initiiert von KöR – Kunst im öffentlichen Raum und Kulturplattforum Mariahilf, kuratiert von Hemma Schmutz). Und mit seinem Titel In the still of the night wählte man sich nicht nur einen prominenten Schutzpatron, sondern verpflichtet sich so auch den hier "vor Ort abgelagerten Geschichten", dem, was unsichtbar oder im Alltag nicht mehr offensichtlich ist.

Antenne und Flakturm

Etwa ganz unmittelbar der Funktion des ehemaligen Leitturms, der die Koordinaten feindlicher Flugzeuge an den Gefechtsturm weitergab. Toni Schmales Hinweis auf das kriegerische Funkfeuer ist massiv und dezent zugleich: Auf dem Sockel der Antennenskulptur aus Beton und Stahl sitzen, so wie auf den Stufen zum Fritz-Grünbaum-Platz just davor, bereits plaudernde Menschen. Eine simple Radioantenne im Atelier diente als Vorlage, und doch scheint das harmlos erscheinende Objekt die Position der Flakgeschütze zu imitieren.

Bei einem ausgehobenen Loch hingegen denkt man eher an Wasserrohrarbeiten als an ein Kunstwerk. Und doch ist der ausgegrabene Stein eine Arbeit von Markus Proschek, ein fragmentarischer Abguss einer Skulptur des Nazi-Bildhauers Josef Thorak. Kann ein Bruchstück ohne Kontext, vergleichbar mit den heute anders genutzten Flaktürmen, genug Erinnerung, ja genug Mahnmal sein?

Nicht unweit davon blitzt etwas in der Sonne. Johannes Porsch hat einen simplen Spiegel an einem Unort des Parks, quasi in einem Zwickel zwischen Mauer und Gebüsch, installiert. Eine Markierung des öffentlichen Raums, der hier von vielen Szenen, laut dem Roman Der nackte Soldat von Belmen O in den 70er-Jahren von der schwulen Szene, als Bühne genutzt wird.

Interviews aus der Gruft

"Ich höre gerne zu, was die Leute zu erzählen haben", provoziert eine Stimme nahe einer Parkbank hinzulauschen. Zu hören sind Ausschnitte aus den langen Interviews, die Anna Artaker mit Obdachlosen der Gruft geführt hat, der Anlaufstelle für Obdachlose in der Krypta der Kirche Mariahilf unweit des Parks. Bevor es dort Stockbetten gab, sei man wie die Sardinen auf Gummimatten am Boden gelegen, erzählt einer; ein anderer berichtet, dass er trotz eigener Wohnung begann, im Park zu schlafen, so ausgelaugt, dass ihm sogar die Lust zum Atmen fehlte.

In der Barnabitengasse, auf dem Weg zur Kirche, hält uns die schablonenhafte Figur des Kapuzinermönchs Marco d'Aviano, apostolischer Delegat beim Heer der Habsburger während der zweiten Türkenbelagerung, mahnend ein Kreuz entgegen. Der aus Holz gezimmerte Hüne von Franz Kapfer erinnert daran, wie religiöse Symbole – von der Türkenbelagerung über den Austrofaschismus bis zu den Pegida-Märschen – für andere Zwecke instrumentalisiert wurden und werden.

Die Route endet auf der Mariahilfer Straße: Iris Andraschek und Hubert Lobnig haben den Obdachlosen ein chamäleonartiges Kommunikationsvehikel für die Konsummeile geschaffen: In der Box der Gruft-Boutique werden gegen eine Spende T-Shirts abgegeben, die in Workshops ein künstlerisches Upcycling erfahren haben. Tritt man näher, kann man an den Wänden der kleinen Hütte auch von den Ideen, Sehnsüchten und Berufswünschen der Menschen lesen: Mehr Respekt, soziale Gerechtigkeit, ein drogenfreies Leben, ein Job in der Modeboutique oder als Behindertenpädagoge gehören zu ihren Wünschen. Ganz auf Augenhöhe findet die Begegnung hier allerdings nicht statt: Aus versicherungstechnischen Gründen darf die Box nur offenhalten, wenn die Künstler (oder KöR) anwesend sind. Fehlt Vertrauen oder einfach nur ein ordentlicher Wohnsitz? Die Frage danach, wem der öffentliche Raum gehört oder wer ihn nutzen darf und wozu, trifft hier einen empfindlichen Punkt. (Anne Katrin Feßler, 15.7.2015)