Wien – Sie ist gut ausgebildet, gibt ihren Job aber zumindest für zwei Jahre auf, als sie schwanger wird. Der Vater ihres Kindes arbeitet Vollzeit und macht viele Überstunden. Als die Tochter drei Jahre alt ist, geht die Mutter Teilzeit arbeiten. Sie geht in Pflegeurlaub, wenn ihr Kind krank ist, kocht das Abendessen, unterstützt die Tochter bei den Hausaufgaben. Erst wenn die Kinder "aus dem gröbsten draußen sind", also mit 15 Jahren die Sekundarstufe in der Schule abschließen, geht die Mutter wieder Vollzeit arbeiten. Verdient dann aber weiterhin weniger als ihr Mann.

Die Aufteilung der Aufgaben im Arbeits- und Familienleben ist in Österreich stark nach Geschlechtern getrennt.
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So oder so ähnlich sieht ein typisches Familienleben in Österreich laut dem Wirtschaftsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für dieses Jahr aus. Der Bericht erscheint alle zwei Jahre und hat sich für 2015 speziell mit Geschlechterrollen auseinandergesetzt. Ein Fazit: Die Aufteilung der Aufgaben im Arbeits- und Familienleben ist stark nach Geschlechtern getrennt.

"Dies führt zu Geschlechterungerechtigkeit und hindert die Gesellschaft daran, bestehende Talente zu entdecken", schreiben die Autoren in ihrem Bericht. Damit würden auch die Haushaltseinkommen und das staatliche Einkommen gedrosselt.

Frauen verdienen 23 Prozent weniger

Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen ist in Österreich einer der größten im OECD-Raum (siehe Grafik unten). Der Stundenlohn von Frauen war 2012 durchschnittlich um 23 Prozent geringer als jener von Männern. Zudem arbeiten Frauen häufiger in atypischen Arbeitsverhältnissen.

Während 85 Prozent der Männer Vollzeit arbeiten, tun dies nur 50 Prozent der Frauen. 36 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit (Männer: fünf Prozent), 14,6 in anderen atypischen Arbeitsverhältnissen (Männer: 10 Prozent).

Die unterschiedlichen Geschlechterrollen in Österreich bestehen nicht von Anfang an. 2014 waren 84 Prozent der Frauen und 91 Prozent der Männer zwischen 25 und 34 Jahren am Arbeitsmarkt tätig. Dies ist eine der höchsten Quoten innerhalb der OECD.

Karriereknick nach Geburt

Erst wenn Kinder kommen, ziehen sich die Frauen vom Arbeitsmarkt zurück. Laut Zahlen aus den Jahren zwischen 2005 und 2009 arbeitet in 65 Prozent der Familien nur ein Partner, wenn das Kind unter zwei Jahre alt ist. Ist der Sohn oder die Tochter zwischen drei oder fünf Jahre alt, arbeitet in 40 Prozent der Fälle ein Partner Vollzeit und der andere Teilzeit (siehe Grafik unten). Österreich hat hier nach den Niederlanden die höchste Quote innerhalb der OECD.

Viele dieser Frauen würden angeben, freiwillig Teilzeitjobs zu machen, schreiben die Studienautoren, die dieses Phänomen jedoch aus vergleichbaren Staaten, etwa aus Deutschland, kennen: Dort habe die Erfahrung gezeigt, dass bei einem besseren Angebot an Betreuungsstätten für Kinder unter zwei Jahren viele dieser Frauen zu Fulltime-Jobs tendieren würden.

Einen Grund dafür, dass viele Mütter Teilzeit arbeiten bis ihre Kinder die Sekundarstufe abgeschlossen haben, sehen die Studienautoren auch im Schulsystem. Ganztagsschulen sind in Österreich die Ausnahme. Dazu kommt, dass die österreichischen Väter nicht nur meist Vollzeit arbeiten, sondern auch besonders viele Überstunden machen. Laut einer Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2014, auf die sich die OECD beruft, machen 46 Prozent der Väter, die Kinder unter zwölf Jahren haben, Überstunden. Derselbe Wert liegt bei Frauen nur bei 14 Prozent.

Frauen übernehmen unbezahlte Arbeit

Frauen übernehmen stattdessen unbezahlte Arbeit innerhalb der Familie. 82 Prozent bleiben zu Hause, wenn ihr Kind krank ist, 72 Prozent geben an, hauptsächlich für die Betreuung der Hausübungen zuständig zu sein. 63 Prozent der Mütter fahren ihre Kinder zur Schule. Eine Studie zu Arbeitsbedingungen in Europa aus dem Jahr 2010 zeigt, dass Männer in Österreich nur 24 Prozent der unbezahlten Arbeit für Familie und Haushalt übernehmen (siehe Grafik unten). "Die Aufteilung der Arbeit nach dem Geschlecht ist in Österreich viel ausgeprägter als in vergleichbaren Staaten", kritisiert die OECD.

Weniger zufrieden, weniger fruchtbar

Die geringe Beteiligung der Männer an der Haushalts- und Erziehungsarbeit hat direkte Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit: Je zufriedener eine Mutter mit der Arbeitsteilung im Haushalt ist, desto eher ist sie geneigt, ein zweites Kind zu bekommen, wie eine österreichische Studie aus dem Jahr 2014 zeigt. Auch ein Zusammenhang zwischen Frauen-Beteiligung am Arbeitsmarkt und Fruchtbarkeit wurde in einem Ländervergleich nachgewiesen.

"Spannungen"

Trotzdem: Die Lebenszufriedenheit von Männern und Frauen in Österreich ist im internationalen Vergleich hoch, Frauen sind ein wenig zufriedener als Männer. Auf einer Skala von 0 bis 10 gaben die Österreicherinnen 2012 durchschnittlich 7,5 an, bei Männern liegt der Wert bei 7,3. Die Lebenszufriedenheit von Frauen sinkt allerdings, wenn sie Kinder haben. Aber nur dann, wenn sie nicht Vollzeit arbeiten. "Dies könnte auf Spannungen innerhalb der Geschlechterrollen hinweisen", schreiben die Studienautoren. (Lisa Kogelnik, Maria Sterkl, 14.7.2015)