Der Eurogipfel in der Nacht auf Montag wird nicht nur gemessen an seiner Dauer, sondern auch in Bezug auf seine Tragweite in die Geschichte eingehen. Wenn EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach 17-stündigen Verhandlungen und einem beispiellosen Nervenkrieg vor die Presse tritt und seiner Zufriedenheit Ausdruck verleiht, kann das nur als selektive Wahrnehmung gedeutet werden. Denn die Staats- und Regierungschefs der Währungsunion haben Griechenland nicht gerettet. Sie sind auf dem besten Wege, dem Problemkind den Todesstoß zu versetzen und sich dabei selbst tief ins Fleisch zu schneiden.

Keine Frage: Mit Athen ist nicht gut Kirschen essen. Schon bisherige Regierungen haben sich wenig um Reformen geschert und dem Klientelismus gefrönt. Die neue Regierung Tsipras forderte die anderen Euroländer dann auch noch mit unverschämten Forderungen, kontraproduktiven Maßnahmen und hochtrabenden Sprüchen heraus. Die Ankündigung eines Referendums über die von den Geldgebern geforderten Sparmaßnahmen war da nur der Höhepunkt in einer langen Reihe an Fehltritten. Es dürstet nach Rache, und die griechische Bevölkerung muss den Kopf hinhalten.

Anders lassen sich die an Demütigung grenzenden Auflagen nicht erklären. Athen bleibt null Spielraum für politische Gestaltung, die Regierung muss jede Gesetzesänderung im Vorfeld der Beschlussfassung der verhassten Troika vorlegen. Bereits beschlossene Maßnahmen, die den Geldgebern nicht in den Kram passen, sind zu annullieren. Staatsvermögen dient als Pfand für Hilfsgelder, lediglich die Ansiedlung eines Fonds für öffentliches Eigentum in Luxemburg konnte Tsipras verhindern. Doch auch ohne diesen Punkt ist die Einschränkung der Souveränität Griechenlands nicht zu überbieten.

Gewiss: Wer mit seinem Geld nicht haushalten kann, muss bei der Aufnahme von Krediten mit Bedingungen rechnen. Doch dieses Paket kommt einer Aushebelung der Demokratie gleich. Das geht eindeutig zu weit.

Auch ökonomisch ist der Pakt ein Schuss ins Knie: Die Sparmaßnahmen, insbesondere die Steuererhöhungen und weitere Einbußen bei den unteren Einkommensschichten, werden die Lage in Hellas weiter verschlimmern. Besonders paradox: Obwohl die bisherigen Haushaltsziele nie erreicht wurden, wird weiter munter mit fiktiven Überschusszahlen hantiert, die eine Rückzahlung der Schulden gewährleisten sollen.

Dabei hat die Entwicklung der Krisenländer der Union eines besonders deutlich gemacht: Die negativen Auswirkungen der Austeritätspolitik wurden sträflich unterschätzt. Dass ein Schuldenschnitt, der wieder Vertrauen in die Tragfähigkeit der griechischen Außenstände gebracht hätte und die Voraussetzung für dringend notwendige Investitionen gewesen wäre, verweigert wurde, zeigt: Die Lernkurve der Eurozone weist scharf nach unten.

Doch auch der Rest der Währungsunion wird noch lange seine Wunden lecken. Die Risse waren nie so groß wie jetzt und werden angesichts der Verwerfungen zwischen Berlin und Paris nicht rasch zu kitten sein. Dazu kommt der finanzielle Schaden, weil die neuen Kredite ebenso wie die alten nicht zurückfließen werden. Gemeinsam mit dem griechischen Elend ist das ein hoher Preis für ein wenig überzeugendes Prestigeprojekt namens Euro. Ein zu hoher Preis. (Andreas Schnauder, 13.7.2015)