Wien – "Für mich bist du kein Terrorist. Du hattest wie ich eine Scheißkindheit", sagt Verteidiger Wolfgang Blaschitz in seinem Eröffnungsplädoyer. Er offenbart allerdings keine Familiengeheimnisse, sondern zitiert aus einer Nachricht an Oliver N., seinen Mandanten. Gesendet wurde die Botschaft von einem Freund, dem der damals 16-Jährige zuvor gedroht hat, ihm den Kopf abzuschneiden.

Der seit Mai 17-Jährige ist vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Alexandra Skrdla, da er im Vorjahr in Syrien Mitglied der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) gewesen sein, ein Terrorcamp besucht und gekämpft haben soll. Bis zu fünf Jahre Haft drohen dem unbescholtenen Teenager dafür.

"Ja, er ist Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen", sagt Blaschitz. Aber: "Er hat bitter bezahlt. Er hat seine Milz verloren, eine Niere, einen Lungenflügel, Teile der Leber, des Magens, sein Darm war zerfetzt", zählt er die Folgen eines Bombenangriffs auf. Aber gekämpft habe N. in dem Bürgerkriegsland nie.

Im Mai 2014 konvertiert

Vorsitzende Skrdla lässt den Angeklagten etwas früher beginnen. Im Mai 2014, als er zum Islam konvertiert ist. Zu diesem Zeitpunkt lebte N. in einer betreuten Wohnung, war Lehrling. "Ich hatte auch Freunde, war auf Partys, hatte einen Hund", erzählt er.

"Da hatten Sie ja kein schlechtes Leben", rekapituliert Skrdla. Hatte er nicht. "Ich habe nach einer Familie gesucht. Nach bedingungsloser Anerkennung und Liebe." – "Und warum der Islam?" – "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ich wäre auch zu einer Yoga-Gruppe gekommen, wenn die mich damals gefragt hätten."

Gefragt wurde er allerdings von Bekannten, in einem Park trat er mit einem arabischen Satz vor drei Zeugen dem Islam bei. Er besuchte eine Moschee, radikalisierte sich. Ab August wollte er dann schon nach Syrien. "Uns wurde gesagt, dort werden Muslime gefoltert und Frauen vergewaltigt." Allerdings nicht vom IS, sondern von dessen Gegnern.

"Eine Art Gehirnwäsche"

"Das Mindeste sei, zumindest dort hinzuziehen", lautete eine weitere Botschaft. "Es war eine Art Gehirnwäsche." Skrdla hält ihm das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen vor. Dort hatte er nämlich noch davon gesprochen, "Kick und Action" sei sein Motiv für die Ausreise gewesen. "Ein Freund hat mir geschrieben, dass alles ruhig sei", entgegnet er.

Schlussendlich flog er nach Istanbul, fuhr mit dem Bus an die syrische Grenze, überquerte diese im Laufschritt und wurde auf der anderen Seite von einem IS-Shuttle zu einem "safe house" gebracht.

Bald sei er in den Irak gekommen. Aber nicht, um ein Terrorcamp zu besuchen, wie ihm Staatsanwältin Stefanie Schön vorwirft. Eigentlich sei er nur in einem Haus gesessen. "Sie fahren ausgerechnet in den Irak, sitzen dort in einem Haus und machen nichts?", fragt die Vorsitzende ungläubig. "Klingt komisch, ist aber so."

Die Vorsitzende hat ihre Befragung recht gut aufgebaut. Denn an dieser Stelle wirft sie nach zwei erfolglosen Versuchen den Projektor an. Auf die Leinwand hinter ihr werden Fotos projiziert. N. mit Waffen in der Hand, mit schusssicherer Weste, vor einem Pick-up inmitten Bewaffneter. Das sei alles nur ausgeborgt gewesen. "Ich hab es halt cool gefunden."

Als Rettungsfahrer in Kobane

Zurück in Syrien wurde er dennoch gebraucht, erzählt er. Als Rettungsfahrer nahe der umkämpften Stadt Kobane. In einem gepanzerten Hummer habe er Verwundete zu einem Sammelplatz gebracht. "Der hatte ein großes rotes Kreuz drauf, hoffe ich?", fragt Skrdla ironisch. Hatte er nicht.

Die Disziplin innerhalb des IS scheint laut N.s Darstellung eher lasch zu sein. Nach drei Tagen habe er genug gehabt. Stattdessen wollte er im besetzten Gebiet eine Familie gründen, suchte sich in einem "Frauenhaus" eine Gattin – und wurde bald darauf bei einem Bombenangriff schwerst verletzt.

Das sei im Dezember gewesen, zwei Monate Spitalsaufenthalt folgten. Im März kehrte er dann nach Österreich zurück. "Da war es dann nicht mehr so cool?", will Skrdla wissen. "Ich habe es vorher durch eine rosa Brille gesehen."

Dann beginnt die Vorsitzende allerdings, seine Verantwortung gehörig zu zerlegen. Denn sie präsentiert weitere Fotos, entstanden nachdem er aus dem Krankenhaus gekommen ist. Bilder, auf denen N. mit einem Sturmgewehr vor einer IS-Flagge sitzt oder fröhlich in Tarnkleidung posiert.

Video im Schlachthaus

Ins Schwimmen gerät der Angeklagte auch, als er nach einem im Internet verbreiteten Video gefragt wird. In dem steht er in einem Schlachthaus, fordert die Muslime auf, nach Syrien zu kommen, da könne man Ungläubige abschlachten.

Da sei er mehr oder weniger zufällig dazugekommen, sagt er nun. IS-Kämpfer hätten ihm gesagt, was er sagen sollte, er habe irgendwie Angst gehabt und das gemacht. Warum er dabei ganz offensichtlich ziemlich viel Spaß hatte, kann er nicht erklären.

Dass er Drohnachrichten an Vorgesetzte, Arbeitskollegen und Bekannte geschickt hat, findet er auch nur bedingt tragisch. Nachrichten wie: "Sie werden abgeschlachtet, Sie fette Sau." "Ich habe nicht damit gerechnet, dass die sich so fürchten, ich war ja weit weg", sagt er nun.

Skrdla spielt ihm auch ein Telefonat vor. N. und ein deutscher Mitkämpfer drohten auch in diesem mit Köpfung, dass man die Wohnadresse kenne und jemanden vorbeischicken werde. Er habe das damals eher als Scherz gesehen, ist die vage Reaktion. Ein Urteil soll am Mittwoch fallen. (Michael Möseneder, 13.7.2015)