Ein amputierter Kaktus in Arizona ...

Foto: Philip Gaißer, Courtesy Galerie Conradi, Hamburg

... und ein Nest, in dem eine Papageien-WG lebt – und eingewanderte Ameisen Putzdienst machen. Philip Gaißer thematisiert unter anderem Migration in der Natur.

Foto: Philip Gaißer, Courtesy Galerie Conradi, Hamburg

Graz – Irgendetwas stimmt mit diesem Kaktus nicht. Hat ein Arizona-Urlauber den in den Himmel ragenden Kopf und die Arme des Saguaro zu Hause per Photoshop so abgeschnitten, dass er auf einer Linie mit dem Horizont endet? Die Antwort ist: Nein. Der deutsche Fotograf Philip Gaißer hat hier über den Blickwinkel nachgeholfen, sein Objekt aber wurde tatsächlich "amputiert" – und zwar bei Schießübungen, die, schon lange bevor er auf den Auslöser drückte, wieder vorbei waren. Das Bild ist Teil der Serie The Ground Is Mine the Sky Is Yours (2013).

Auch im dritten und letzten Teil der in Kooperation mit dem Kunsthaus Graz entstandenen Ausstellungsreihe Disputed Landscape in der Camera Austria befragen die Beiträge der Künstler die Rolle von Landschaft in Bezug auf Konventionen, Veränderungen, Machtverhältnisse. Nach den beiden Ausstellungen The Visual Paradigm und Uncovering History – der Standard berichtete – spielt in den Bildern des dritten Teils, Enacting Landscape, das Künstliche, das auf den ersten Blick als Teil der Natur, den zweiten aber als etwas vollkommen Deplatziertes erkannt wird, eine wichtige Rolle.

Besonders stark sind hier die Arbeiten des Israelis Sharon Ya'ari, der auf das Kleingedruckte bei der Einschreibung von Menschen und ihrer Geschichte in Orte und Landschaften achtet. Als Menschen aus Europa nach Israel zogen, nahmen sie etwa sehr oft Pflanzen mit, um per Flora für eine heimatliche Atmosphäre zu sorgen oder den Boden brauchbar zu machen – was nicht immer klappte. Sharon Ya'ari hält die oft skurril anmutenden Bewohner – wie etwa eine Agave, einen Gummibaum oder einen alle Vegetation im Umkreis durch übersäuerte Böden bedrohenden Eukalyptusbaum – dokumentarisch fest. Oft kehrt er nach längerer Zeit wieder und erfasst dabei in der Veränderung der Orte eine unvorhersehbare Zukunft, die in Israel wohl nicht nur Pflanzen betrifft; eine Ungewissheit, die Schatten in das wärmste Sonnenlicht zu werfen vermag – wie in dem Bild Shadows, wo die Terrasse eines Hauses im südisraelischen Be'er Scheva warm, zitronengelb und freundlich herausstrahlt.

Die Bilder des Österreichers Michael Höpfner nehmen sich daneben aus wie eine lange meditative Wanderung bis ans Ende der Welt. Der Titel der Serie, die Höpfner auf dem Hochplateau des Chang Tang im westlichen Tibet fotografierte, klingt wie ein Mantra: Lie Down, Get UP, Walk on. Alle paar Meter machte er ein Bild, um die Bewegung des Gehens in einer Landschaft abzubilden, die – vor allem auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen – fast außerirdisch wirkt. Aber eben nur fast: denn auch hier haben Menschen ihre Spuren hinterlassen, mit ihrem Raubbau an der Natur oder in Form von Geisterstädten, in denen noch Kleidungsstücke herumliegen.

Fellreste und Kontaktabzüge

Auf einem anderen Bild erkennt man Fellreste eines Schneeleoparden. Höpfner dokumentierte Fortbewegung, indem er seine Kontaktabzüge auf Ilford-Fotopapier, auf schwarzem Hintergrund wie eine Filmsequenz, präsentiert. In den Ausstellungsraum baute er ein stilisiertes Zelt aus der Wolle tibetanischer Hochlandschafe.

Doch zurück zu Philip Gaißer, der sich auch verschiedene Arten von Migration in der Natur durch die Linse ansah, und nicht nur jene ungewöhnlicher Ameisen. "Unsere Hunde kommen aus Deutschland und die Bäume aus Australien", sagt Francisco, Protagonist in einem von zwei Scripts, die Gaißer in der Schau zeigt. Es sind Screenplays, die man sich als Roadmovies vorstellen kann. Francisco ist in Uruguay unterwegs. Das zweite Script führt durch Arizona. "Wenn Sie schießen wollen, sind Sie bei uns richtig, wenn es sein muss, auch in der Nacht", heißt es da, und man erinnert sich an den armen Kaktus. (Colette M. Schmidt, 13.7.2015)