Dass es nicht einfach werden würde, war allen klar: Aber dass die Positionen der Finanzminister der Eurogruppe zu den griechischen Reformvorschlägen nach neunstündigem Ringen so weit auseinander langen, dass eine Vertagung auf heute, Sonntag, notwendig wurde, war doch überraschend.

Es geht nicht mehr nur um Griechenland sondern um viel mehr: Bei dem Treffen am Samstag brachen tiefer gehende Konflikte auf, die die Europäische Union in ihren Grundfesten erschüttern. Deutschland und Frankreich, die sich vor wichtigen Entscheidungen stets vorher abstimmen und als Tandem agieren, stehen diesmal klar auf verschiedenen Seiten.

In den vergangenen Tagen waren Vertreter der französischen Regierung stärker als bisher öffentlich bekannt darin involviert, die griechischen Reformvorschläge zu Papier und auf den Weg nach Brüssel zu bringen. Deutschland fuhr dagegen mit einem Positionspapier nach Brüssel, das einen temporären Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone vorsieht, und als Drohung zu verstehen war – und wohl auch so verstanden werden sollte. Demnach soll Griechenland die Währungsunion für mindestens fünf Jahre verlassen und seine Schulden restrukturieren.

Schäuble droht mit Grexit auf Zeit

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) agierte in Brüssel als Hardliner und überraschte mit dieser Position auch führende SPD-Politiker, die am Abend twitterten, dass dieser Grexit auf Zeit nicht abgesprochen war. Auf Facebook gab SPD-Chef Sigmar Gabriel noch in der Nacht bekannt, dass dieses Papier "natürlich bekannt" sei, aber der Vorschlag nur in Übereinstimmung mit Griechenland zu realisieren sei. Das gibt auch Zündstoff in der großen Koalition, wiewohl Gabriels eigene, wandelbare Haltung selbst für seine Genossen nicht immer leicht zu durchschauen ist.

Frankreich hat sich in den vergangenen Tagen auf die Seite der Südländer geschlagen, wo bisher Italien als stärkster Fürsprecher Griechenlands aufgetreten ist. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi befand nach Vorlage der griechischen Reformvorschläge am Freitag, man brauche gar kein Treffen der Staats- und Regierungschefs am Sonntag und könne die Liste gleich für angenommen erklären.

Der Süden gegen den Norden und Osten

Auf die Seite Deutschlands haben sich die Osteuropäer geschlagen, die keine weiteren Aufweichungen für Griechenland mehr akzeptieren wollen – allen voran die Slowakei, die beim Aufbau des Eurorettungsfonds ESM schon nicht mitzahlen wollte. Sie haben ihre eigenen Bürger im Blick, denn Pensionisten in diesen Ländern bekommen geringere Beträge als jene in Griechenland.

Eigene Probleme brachen auch bei den Finnen auf. Finanzminister Alexander Stubb signalisierte in Brüssel, er könne an diesem Samstag der Aufnahme von Verhandlungen über weitere Hilfen aus dem Rettungsfonds nicht zustimmen. Die in Helsinki an der Koalition beteiligten "Wahren Finnen" sind dagegen. Hier zeigt sich deutlich, wie stark der Einfluss von EU-kritischen Parteien ist. Mögen sie auch noch so klein sein, auf EU-Ebene haben sie mehr Gewicht. Wie auch bei den Verhandlungen über die Aufteilung von Flüchtlingen wird insgesamt ein wachsender Nationalismus deutlich, von europäischer Solidarität ist immer seltener die Rede. Und die Deutschen wollen nicht mehr länger Zahlmeister Europas sein.

Glaubwürdigkeit der Gläubiger auf dem Prüfstand

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sprach nach dem Treffen am frühen Sonntagmorgen davon, dass "das Thema von Glaubwürdigkeit und Vertrauen" diskutiert wurde. Gemeint war, dass die griechischen Regierungen – und das trifft nicht nur auf die aktuelle, von Syriza geführte zu – viel versprochen, aber wenig gehalten haben. Aber es steht auch die Glaubwürdigkeit der Gläubiger auf dem Spiel: Die griechische Regierung hat die Sparvorschläge der so genannten Institutionen abgelehnt, das Referendum am vergangenen Sonntag hat eine deutliche Mehrheit gegen die Umsetzung ergeben. Dennoch hat Premier Alexis Tsipras diese Vorgaben akzeptiert, gegen die massiven Proteste eines Teils seiner eigenen Syriza-Partei durchgesetzt und sogar eine sehr deutliche Mehrheit im Parlament am Samstag morgen dafür erhalten. Die Vertreter der Oppositionsparteien haben in hoher Zahl mitgestimmt.

Dass nun Vertreter der Institutionen – die Chefs von EZB und IWF, Mario Draghi und Christine Lagarde waren bei den Gesprächen am Samstag in Brüssel dabei – diese Vorschläge als nicht weitreichend genug bezeichnen, ist nicht nachvollziehbar. Griechenland hat sich an die Vorgaben gehalten und zeitgleich geliefert. Dass Schäuble und einige andere Eurominister argumentieren, bei diesen Reformforderungen wäre es nur um die Verlängerung des zweiten Hilfpakets um vier Monate gegangen, jetzt gehe es um ein grundsätzliches Programm für drei Jahre, ist eine technische Argumentation.

Auf Merkel und Hollande kommt es an

Kann der Grexit noch vermieden werden? Entscheiden werden es wohl die Staats- und Regierungschefs – allerdings nicht wie ursprünglich geplant heute. Wesentlich wird sein, ob Deutschland und Frankreich auf eine gemeinsame Position kommen, wie in allen entscheidenden Situationen, wenn die EU an historischen Wendepunkten stand: Wer setzt sich durch? Angela Merkel oder François Hollande? Mag sein, dass Schäuble den "bad cop" mimt, um einen konkreten Zeitplan zur Umsetzung des Reformprogramms zu bekommen oder noch ein paar weitere Vorschläge – das ist ein gefährliches Spiel. Für die EU geht es um viel: Gelingt die Einigung in der Griechenlandkrise nicht, dann werden die Konflikte auf allen Ebenen aufbrechen, nicht nur rund um den Euro und in der Flüchtlingsfrage. (Alexandra Föderl-Schmid, 12.7.2015)