Das Kleid ist ein Kunstwerk. Das ist wörtlich zu verstehen. Statt auf einen Kleiderhaken hängt man es an die Wand. Die Blumenmotive, die den Leib der Trägerin zierten, verschönern Minuten später das heimische Wohnzimmer.

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Der Designer Giambattista Valli kleidet den jüngeren Jetset ein. Bei diesen Rüschenungetümen sollte man aufpassen, dass man sich nicht gegenseitig auf die Schleppe tritt.
Foto: AP/Kamil Zihnioglu

Die Haute-Couture-Kollektion, oder soll man besser sagen, der Kommentar zur Haute Couture, den das holländische Designerduo Viktor & Rolf am letzten Tag der Kollektionspräsentationen in Paris zeigte, war in seiner Einfachheit kaum zu überbieten: Ein Kleid, ein Rock oder ein Mantel werden im Handumdrehen zum Tafelbild – Rahmen inklusive.

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Haute Couture wird bei Viktor & Rolf zum Tafelbild.
Foto: AP/Rafael Yaghobzadeh

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Die Kleider der Models sind förmlich eingerahmt.
Foto: AP/Rafael Yaghobzadeh

Mode und Kunst sind von jeher eng verbunden. Vor allem in der Haute Couture, also dem erlesenen Kreis von einigen wenigen Modehäusern, die handgearbeitete und maßgefertigte Einzelstücke kreieren, sind die Grenzen um einiges unklarer als in der Prêt-à-porter. Auch preislich spielt man in derselben Liga: Für ein Couture-Kleid um einige Zehntausend Euro kann man sich auch einen Alex Katz über das Sofa hängen.

Dementsprechend exklusiv ist das Publikum, das sich alljährlich zweimal in Paris einfindet, um die neuesten Prinzessinnenkleider und Roter-Teppich-Kreationen zu begutachten. Vor Jahren noch als aussterbende Gattung gehandelt, hat die Couture in den letzten Saisonen einen Popularitätsschub bekommen, der zum einen einer Reihe jüngerer Modemacher zu verdanken ist, die die "gehobene Schneiderei" mit dem Zeitgeist vermählen.

Die Couture ist zum anderen aber mittlerweile viel mehr als ein Schaulaufen anachronistischer Roben: Sie ist Marketingvehikel der Generation Instagram, Aufmerksamkeitsgarant einer Branche, die verzweifelt den Kontakt zum Kunden sucht, und ideales Umfeld für all jene, die aus einem bestimmten Grund die Trommel rühren wollen. In dieser Saison war das etwa Miu Miu, wo man das erste Parfum der Marke unter Strömen von Champagner vorstellte, Lancôme, das seinen 80. Geburtstag im Kreise seiner Testimonials feierte, Tory Burch, die ihren Pariser Flagshipstore mit einem Konzert von Lauryn Hill einweihte, und Fendi, wo man in Form einer Pelz-only-Modeschau auf 50 Jahre Karl Lagerfeld anstieß. Für sie alle gilt: Kleckern gilt bei der Couture nicht, wer hier mitspielen will, der muss tief in die Brieftasche greifen.

Höhere Umsätze

Doch es zahlt sich aus: Gegenüber dem Branchenblatt "Women’s Wear Daily" spricht Chanel-CEO Bruno Pavlovsky vom wahrscheinlich besten Couture-Jahr aller Zeiten, bei Versace vermeldet man einen Couture-Umsatzzuwachs von 50, bei Jean Paul Gaultier von 20 Prozent. Und das in einer Zeit, in der die Welt politisch kopfsteht. "Ökonomische Krisen haben keine Auswirkungen auf die Couture", sagt Sidney Toledano, der als CEO von Dior jenem Modehaus vorsteht, das den Spagat zwischen Tradition und Zeitgeist besonders gut hinkriegt. Das ist in erster Linie dem Designer Raf Simons zu verdanken, dessen Kollektionen zwar immer noch dem New Look von Christian Dior verpflichtet sind, aber auch den zwischen St. Barths und Monaco pendelnden jüngeren Jetset nicht verstören.

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Variationen von Ärmelformen und Sommerpelz bei Dior.
Foto: APA/EPA/CAROLINE BLUMBERG

Seine aktuelle Kollektion kann man auf der handwerklichen Ebene als eine gewiefte Variation zu verschiedenen Ärmelformen interpretieren, auf der kunstgeschichtlichen dagegen als eine Huldigung an Alte Meister, von Bosch bis Vermeer. Zeitgenössische Burgfräulein in leichten Kettenhemdchen treffen bei ihm auf mondäne Garçonnes in pointillistischen Kleidern. Das Spiel mit Schwere und Leichtigkeit (die Mäntel!), mit Farben und Texturen beherrscht derzeit kaum jemand so gut wie Simons.

Konkurrenz bei jüngeren Kundinnen macht ihm nur Giambattista Valli, der sich zum Haus- und Hofschneider der Aristo-Kids und Celebrity-Töchter gemausert hat. Seine bestickten Cocktailkleider, die wie aus einer Rüschenwolke herauswachsen, seine Fransenleggings, Brokatmäntel und Federnroben sind so aufwendig in hunderten, ja tausenden Arbeitsstunden gearbeitet, wie man das von der herkömmlichen Couture gewohnt ist – sprechen aber gezielt eine Generation an, die sich von ihren Müttern abheben will.

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Modelle von Giambattista Valli.
Foto: Reuters/Stephane Mahe, AP/Kamil Zihnioglu

Für Chanel ist dagegen der Aufwand, der bei der Couture betrieben wird, business as usual. Jede Saison wird eine Kulisse entworfen, die anschließend in abertausenden Fotos um die Welt geht. Neben dem Absatz der neuesten Kollektion pushen sie auch all jene Produkte, von Nagellacken bis Sonnenbrillen, mit denen die meisten Häuser weit mehr Geld verdienen als mit Mode. Diesmal verwandelte Chanel-Designer Lagerfeld das Grand Palais in ein Spielkasino, samt Chanel-gebrandeten Roulettetischen, an denen Promis wie Julianne Moore oder Kristen Stewart Platz nahmen.

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Model Kendall Jenner war im Kasino die Braut in Weiß und zeigte einen adretten Anzug mit Schleppe.
Foto: Reuters/Stephane Mahe

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Chanel.
Foto: APA/EPA/IAN LANGSDON

3-D-Drucke bei Chanel

Eine der Neuigkeiten lag in den 3-D-Drucken, die vor allem in den Tweed-Kostümen eingesetzt wurden. Das klassische Chanel-Kostüm interpretierte er strenger, teilweise mit Schulterklappen. Die große Meisterschaft von Chanels "petites mains" zeigt sich aber in den aufwendigst gearbeiteten Kleidern, in all den Stickereien und Applikationen. Asymmetrische Federkleider mit Goldkrägen trafen auf voluminöse Blüten-Tops trafen auf federleichte Spitzenröcke. Die Mode ist (genauso wie die Politik) ein Spiel, und niemand weiß das besser als Lagerfeld, der es seit mehr als 30 Jahren schafft, der Marke Saison für Saison einen neuen Designkick zu geben – ohne das Erbe von Mademoiselle Chanel nachhaltig zu beschädigen.

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Foto: Reuters/Stephane Mahe

Beinahe ebenso lang sitzt auch Giorgio Armani am Spieltisch der Mode. Der 81-Jährige tauchte seine Kollektion in einen pinken Farbtopf – und huldigte damit gleichermaßen der Designerin Elsa Schiaparelli und dem Punk, was einen interessanten, wenngleich etwas bemühten Balanceakt ergab. Und Kollegin Donatella Versace? Sie zeigte diesmal ihre Softie-Seite. Rüschen, Spitze, offene Nähte. Mode für die Festivalgeher unter den Prinzessinnen. Auch das soll es geben. (Stephan Hilpold, 10.7.2015)