St. Pölten – Am Landesgericht St. Pölten hat sich am Donnerstag eine 16-Jährige in einem Jugend-Geschworenenverfahren wegen Mordversuchs verantworten müssen. Laut Anklage soll sie am 18. Februar bei einer Auseinandersetzung mit einer Gleichaltrigen am Bahnhof der NÖ Landeshauptstadt ein Messer gezogen und mehrfach auf die Kontrahentin eingestochen haben.

Der Beschuldigten drohen ein bis 15 Jahre Haft. Die Verteidigung sah keine Tötungsabsicht und plädierte auf Notwehr mit fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Nach den Eröffnungsvorträgen schloss Richter Markus Grünberger unter Verweis auf den Jugendschutz die Öffentlichkeit aus.

Das Opfer soll laut Staatsanwalt Michael Lindenbauer vor der Tat die Angeklagte aufgrund ihrer schwarz lackierten Fingernägel und ihres Gesichtsschleiers gehänselt und sich in WhatsApp-Nachrichten abfällig über die Gleichaltrige geäußert haben. Beide Mädchen sind gebürtige Tschetscheninnen. Am Tag vor der Auseinandersetzung soll es zu einem heftigen Streit in einem Bus gekommen sein. Daraufhin hätte die nun Angeklagte geplant, das andere Mädchen zum Bahnhof zu locken und zu ermorden. Dazu hätte sie ein Messer bei sich gehabt. Laut der Staatsanwaltschaft soll die Beschuldigte den Plan zwei Bekannten geschildert haben, die diese Aussagen aber nicht ernst genommen hätten. Für die Anklage sei klar, dass eine Tötungsabsicht vorliege.

Anwalt widerspricht Tötungsabsicht

Dem widersprach Verteidiger Peter Krömer. Er betonte, dass seine Mandantin zuerst vom Opfer mit einem Faustschlag ins Gesicht angegriffen worden sei und verwies auch auf die schwierige Kindheit der 16-Jährigen. Bei ihrer Geburt hätte in der Heimat "der totale Bürgerkrieg" geherrscht. Als Sechsjährige sei sie dann mit ihrer Familie nach Österreich geflüchtet. Nach "einer guten Zeit in Linz" sei sie vor etwa zwei Jahren nach St. Pölten und hier in eine Klasse gekommen, in der eine "starke Konzentration von Fremden" vorherrschte.

Dadurch hätte sich die Schülerin "vermehrt in den tschetschenischen Freundeskreis zurückgezogen", so der Verteidiger. Krömer gab zu bedenken, dass es "dort andere Ehrbegriffe" gebe. Dazu käme, dass sich die Eltern aufgrund von Gewalthandlungen des Vaters getrennt hätten. Auch deswegen sei seine Mandantin gemobbt worden.

Für die Verteidigung sei es klar, dass das spätere Opfer zum Treffen am Bahnhof aufgefordert habe. Krömer zitierte dazu eine Chat-Nachricht. Demnach schrieb das Mädchen, dass man morgen schon sehen werde, "wer wen mehr blau macht". Aufgrund der Nachrichten hätte sich die Angeklagte bedroht gefühlt und das Messer mitgenommen. Nach dem Faustschlag und einer Ranglerei hätte die Beschuldigte dann das Messer gezogen. Von einer Tötungsabsicht könne keine Rede sein. Der Anwalt forderte eine Bestrafung nach "anderen, wesentlich milderen Strafausmaßen" – eben Notwehr mit fahrlässiger schwerer Körperverletzung.

Die Angeklagte hätte sich nicht schuldig im Sinne der Anklage bekannt und bedauere den Vorfall, sagte ihr Rechtsbeistand Peter Krömer in einer Verhandlungspause zur APA. Er sprach von "Bedrohungsszenarien", denen seine Mandantin vor der Tat ausgesetzt gewesen wäre.

Es wäre ein Foto von ihr im Internet kursiert, das sie "mit einem Burschen" gezeigt habe, führte der Verteidiger an. Das spätere Opfer soll gedroht haben, das Bild dem Vater der 16-Jährigen zu zeigen. Der sei ein "frommer Muslim" und eine "Autoritätsperson". Wäre ihm das Foto untergekommen, hätte er die Tochter "wahrscheinlich ordentlich gebirnt", meinte der Rechtsanwalt. (APA, 9.7.2015)