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Rainald Goetz

Foto: APA/dpa/Arne Dedert

Im Jahr 1983 raunte man sich im Vorfeld des Bachmannpreises zu, bei einem der eingeladenen Autoren handle es sich um ein Genie. Und der damals 29-jährige Rainald Goetz, den man zu jener Zeit vor allem durch seine Texte und Literaturkritiken in der Süddeutschen, in Spex und Spiegel kannte, enttäuschte – zunächst rein äußerlich – die Erwartungen nicht. Er reiste in punkmäßigem Aufzug an, zur Lesung erschien er dann zwar im Konfirmantenanzug, aber zu spät, was einer Demütigung der Jury gleichkam. Letztere spielte auch in seinem Text Subito eine Rolle, in dem er gegen den von Nullen dominierten Literaturbetrieb und die "Klagenfurter Scheiße" schimpfte, wobei er sich nebenbei mit einer Rasierklinge die Stirn aufritzte und, jede Hilfe ablehnend, den Text vom blutigen Manuskript zu Ende las.

Der Rest ist Literaturgeschichte. Zwar verließ Goetz Kärnten ohne Preis. Doch vielen war klar geworden, dass es hier einem mit seinen Reflexionen über den Widerspruch von Wort und Wirklichkeit ernst war. Zunächst hatte allerdings wenig darauf hingedeutet, dass der am 24. Mai 1954 in München als Sohn eines Chirurgen und einer Fotografin geborene Rainald Maria Goetz eine literarische Karriere machen würde. Denn nach Studien der Geschichte und Medizin in München und Paris, in beiden Fächern ist er promoviert, kam Goetz nach einigen journalistischen Texten und seiner Arbeit als Psychiatriearzt erst spät zum Schreiben, wobei er gleich mit seinem ersten Roman Irre (1983) den Durchbruch schaffte.

Seither hat Goetz 20 Bücher veröffentlicht, darunter Stücke, Erzählungen, Tagebücher und zunächst im Internet publizierte Schriften, heute würde man Blog dazu sagen, wie Abfall für alle (1998), die sich in ihrem Nebeneinander von Einkaufszetteln, Reflexionen, Lektüreeindrücken und Loveparade-Erlebnissen traditionellen Zuschreibungen entziehen.

Es gibt in Deutschland wohl keinen Autor, der seiner Gegenwart mit solcher Verve, mit derartigem emotionalem Einsatz entgegentritt und ihre losen Enden zu verknüpfen versucht wie der Büchnerpreisträger 2015, über den, obwohl er sich als repräsentatives Ich in unserer Zeit versteht, wenig wirklich Privates zu erfahren ist. Er sei, heißt es, ein leidenschaftlicher Zeitungsleser und lebe in Berlin. Von dort wird er am 31. Oktober nach Darmstadt fahren und den mit 50.000 Euro dotierten wichtigsten Literaturpreis des deutschen Sprachraums entgegennehmen. (Stefan Gmünder, 8.7.2015)