Die Weinbauregion Jura zwischen Burgund und der Schweiz hat sich ihre jahrhundertealte Weinbautradition mit eigenen Rebsorten bewahrt.

Foto: Georges Desrues

Pierre Overnoy präsentiert stolz seinen schwefelfreien 1986er-Poulsard, der auch heute noch herrlich frisch und jugendlich schmeckt.

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Verteufeln dürfe man den Schwefel keinesfalls, sagt Pierre Overnoy, offenbar ohne sich der Ironie seiner Aussage bewusst zu sein. Erst die Zugabe von Schwefel habe den Winzern erlaubt, ihre Weine zu exportieren, ihnen also das nötige Einkommen verschafft, um weiter und besser zu arbeiten. Der Mann, der so versöhnlich spricht, gilt eigentlich als Pionier der Weine ohne Schwefel – als absoluter Vorreiter der inzwischen so angesagten Vins naturels. Und als wahre Legende unter Frankreichs Weinbauern.

Seine Heimat ist das französische Departement Jura am Fuße des gleichnamigen Alpenmassivs zwischen dem Burgund und der Schweiz. Über Jahrhunderte hat sich hier ein sehr eigenständiger Weinstil entwickelt, der immer etwas im Schatten der prestigereichen Weinbaugebiete wie etwa Bordeaux oder Burgund stand. Doch in den letzten Jahren haben die charakterstarken Weine des Juras einiges an Aufmerksamkeit gewonnen und ihren Weg in die Weinkarten der besten Restaurants der Welt gefunden. Das liegt zum einen daran, dass tüchtige Sommeliers immer nach spannenden Alternativen zu bekannten Gewächsen und Châteaus suchen. Und zum anderen an den im Jura weitverbreiteten naturnahen Anbau- und Erzeugungsmethoden, die heutzutage so stark im Trend liegen. Und für deren Entwicklung Pierre Overnoy maßgeblich verantwortlich zeichnet.

"Natürlich habe anfänglich auch ich mit Schwefeldioxid gearbeitet, wie ich es auf der Weinbauschule gelernt hatte, um den Wein mikrobiologisch zu stabilisieren, ihn vor Oxidation zu schützen und länger haltbar zu machen", sagt der 78-Jährige. Bald aber habe er feststellen müssen, dass seine Weine geschmacklich nicht herankamen an jene seines Vaters und seines älteren Bruders, die beide ohne Schwefelung arbeiteten. "Deren Weine schmeckten einfach viel komplexer und tiefgründiger, das konnte ich beim besten Willen nicht abstreiten, obwohl ich mich damals für moderner und schlauer hielt", sagt Overnoy und steht vom Gartentisch auf, um eine Flasche aus dem Haus zu holen. Overnoys Weingut, das inzwischen sein Geschäftspartner und geistiger Ziehsohn Emmanuel Houillon leitet, ist vielmehr ein Bauernhof in der kleinen Ortschaft Pupillin, umgeben von Weinbergen, von grasenden Kühen und pittoresken Dörfern mit steinernen Kirchtürmen. Im Jura trifft man noch auf das echte Frankreich, wie die Leute hier sagen. Die lokalen Rebsorten tragen exotische Namen wie Savagnin, Poulsard oder Troussau, dazu werden wie im nahen Burgund auch Pinot noir und Chardonnay angebaut.

Alter Knabe

Monsieur Overnoy kehrt zurück mit einer Flasche, deren Etikett er versteckt hält. Man solle doch bitte schätzen, wie alt der Wein ist, sagt er und befüllt mit verschmitztem Lächeln die Gläser. Von der Farbe her gleicht der Poulsard eher einem Rosé als einem Rotwein, was an den großen Trauben und ihrer sehr dünnen Haut liegen soll. Sein Geschmack ist frisch, lebendig und jugendlich, mit deutlicher und sehr lebendiger Säure. Da er – nach Overnoys Verhalten zu schließen – offenbar älter ist, als er schmeckt, schätzen die durchwegs geübten Gäste ihn auf zehn bis 15 Jahre. Kichernd zeigt der Winzer das Etikett. "Es ist ein 1986er, mein erster Jahrgang, den ich ganz ohne Schwefel erzeugt habe", sagt er zufrieden, "Dauernd höre ich, dass nichtgeschwefelter Wein maximal zwei Jahre halten könne, dann kippen würde und zu Essig werde. Aber schmeckt der hier vielleicht nach Essig?" Er tut es nicht. Overnoys Wein schmeckt sogar den eingefleischtesten Gegnern von Naturweinen. "Geheimnis gibt es keines, und erfunden habe ich auch nichts", sagt der Weinbauer, "viele halten uns Biowinzer für Träumer und Kasperln, aber meine Arbeit beruht auf den Studien Jules Chauvets, der Chemiker und Wissenschafter war und mit dem Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg zusammenarbeitete." Wichtig sei in erster Linie die minutiöse Arbeit im Weingarten, denn nur ein gesundes und vielfältiges Ökosystem erlaube einen niedrigen pH-Wert in Most und Wein, der wiederum den Verzicht auf Schwefel erlaube.

Overnoys Nachforschungen haben Schule gemacht. Inzwischen gehören auch die jungen Winzer des Juras zu den absoluten Stars des naturbelassenen Weinbaus. Darunter etwa Stephane Tissot, Jean-Claude Credoz oder Etienne Thiebaud. Viele unter ihnen verzichten ganz oder großteils auf Schwefel, manche bauen ihren Weinen auch nach biodynamischen Richtlinien an. Ja, von Biodynamik habe er schon gehört, sagt dazu Pierre Overnoy, dass sei mit Sicherheit eine interessante Sache. Nur habe er selbst immer auf wissenschaftliche Erkenntnisse gesetzt und sich mit Biodynamik deswegen nicht allzu viel beschäftigt. "Aber in Wahrheit ist jede Methode recht, solange der Weingarten so gesund wie möglich ist", fügt er an, "das ergibt besseren Wein, der sich auch ohne Schwefel lange hält." (Georges Desrues, Rondo, 23.7.2015)