Wer sich nach einer alternativmedizinischen Behandlung besser fühlt als vorher, kann sich durchaus glücklich schätzen. Aber dass tatsächlich etwas stattgefunden hat, das den medizinischen Begriff "Heilung" verdient, ist damit noch lange nicht belegt.

Immer dann, wenn sich jemand kritisch zur sogenannten "Alternativmedizin" äußert, dauert es nicht lange, bevor er mit dem ultimativen "Killerargument" konfrontiert wird: Wer heilt, hat recht! Und tatsächlich: Was soll man darauf noch groß sagen? Ist es nicht müßig, über Homöopathie zu diskutieren, Bachblüten zu kritisieren oder darauf hinzuweisen, dass all diese angeblichen Therapien mit echter Medizin nichts zu tun haben, wenn doch am Ende kranke Menschen wieder gesund werden? Wer heilt, hat eben recht und dabei interessiert es keinen, ob die "Schulmedizin" mit der Methode ein Problem hat.

Das "Killerargument" ist aber nicht so mächtig, wie es auf den ersten Blick klingen mag. Denn in der simplen Behauptung "Wer heilt, hat recht" stecken gleich mehrere Annahmen, die durchaus angreifbar sind. Vor allem setzt sie voraus, dass tatsächlich jemand etwas getan hat, das zu einer Heilung geführt hat, und das ist nicht immer der Fall. Denn es macht einen Unterschied, ob eine Therapie kausal für die Verbesserung des Zustands einer kranken Person verantwortlich war. Oder ob ein "Heiler" einfach nur anwesend war, während eine Krankheit von selbst verschwand bzw. sich der Zustand aus Gründen, die nichts mit dem Heiler selbst zu tun haben, veränderten.

Ursache und Wirkung

Es handelt sich dabei um das klassische Problem von Korrelation und Kausation. Wir Menschen neigen dazu, Dinge, die zeitlich kurz hintereinander stattgefunden haben, automatisch in eine Ursache-Wirkung-Beziehung zu stellen. Wenn ich zum Beispiel Kopfschmerzen habe, eine Tasse Tee trinke und die Kopfschmerzen danach verschwinden: Hat der Tee dann die Kopfschmerzen geheilt? War es vielleicht der Apfel, den ich außerdem noch gegessen habe? Oder wären die Kopfschmerzen so oder so verschwunden, egal was ich gemacht hätte?

Am Einzelfall lässt sich so etwas nicht beurteilen, aber genau das tun wir immer wieder. Hätte ich statt des Tees ein paar homöopathische Globuli geschluckt, dann wäre ich nach dem Verschwinden der Kopfschmerzen vermutlich fest davon überzeugt gewesen, dass sie es waren, die mich geheilt haben und die Homöopathie deswegen funktionieren muss.

Beliebiger Heilungsbegriff

Ob aber eine tatsächliche Heilung stattgefunden hat, lässt sich nicht immer so einfach beurteilen, wie wir uns das denken oder wünschen. Viele Krankheiten verschwinden tatsächlich von selbst, ganz unabhängig davon, was wir tun. Oft reicht ein bisschen Ruhe und Erholung schon aus, aber – und auch das belegen psychologische Experimente – wir ertragen es nur schwer, angesichts einer Krankheit völlig untätig zu sein. Anstatt zum Beispiel unsere Erkältung mit ein paar Tagen Bettruhe einfach auszukurieren, laufen wir in die Apotheke um uns diverse – medizinische oder homöopathische – Mittelchen zu holen. Und wenn die Erkältung dann ihren natürlichen Verlauf genommen hat und verschwunden ist, sind wir überzeugt, dass genau diese Mittel ursächlich für die Heilung verantwortlich war.

Andere Krankheiten verlaufen zyklisch und man fühlt sich immer wieder besser und schlechter. Auch hier erfolgt die Veränderung des Zustands unabhängig von dem, was wir tun (und die Homöopathie hält für eine Verschlechterung des Zustands nach einer Einnahme von Globuli ja auch noch ihr äußerst praktisches Konzept der "Erstverschlimmerung" bereit). Bei anderen Fällen, wie zum Beispiel einigen Krebserkrankungen, lässt sich oft erst nach Jahren feststellen, ob tatsächlich eine Heilung stattgefunden hat, und manchmal liegt überhaupt gar kein behandlungsbedürftiger Zustand vor, wodurch der Begriff "Heilung" vollkommen beliebig wird.

Fragwürdiger Exklusivanspruch

Wer sich nach einer alternativmedizinischen Behandlung besser fühlt als vorher, kann sich durchaus glücklich schätzen. Aber dass tatsächlich etwas stattgefunden hat, das den medizinischen Begriff "Heilung" verdient, ist damit noch lange nicht belegt. Und schon gar nicht, dass irgendwer "recht" hat. Denn selbst wenn wirklich eine echte Heilung eingetreten ist, ist nicht automatisch klar, ob sie auch genau aus den vom Heiler behaupteten Gründen passiert ist. Oft findet eine alternativmedizinische Behandlung ergänzend zu einer echten medizinischen Therapie statt. Oder der Körper heilt sich, wie oben beschrieben, einfach selbst. Den Heilungserfolg dann exklusiv dem Wirken des "Heilers" zuzuschreiben – und genau das bedeutet das "recht haben" ja – ist hier nicht zulässig.

"Wer heilt, hat recht" klingt beeindruckend, aber bei näherer Betrachtung verliert der Satz stark an Wirkung. Damit ist übrigens gar nicht gesagt, dass nicht oft tatsächlich genau die Tätigkeit eines Alternativmediziners für eine Heilung verantwortlich ist! Selbst wenn Homöopathie & Co keine pharmazeutische Wirkung auf den Körper ausüben, beeinflussen sie uns doch über den Placebo-Effekt. Dessen unterstützende Wirkung auf die Selbstheilungskräfte des Körpers bzw. auf unsere Wahrnehmung der Krankheit ist in der Medizin gut bekannt. Es kann also durchaus sein, dass ein Alternativmediziner wirklich geheilt hat. Aber recht hat er deswegen noch lange nicht gehabt, denn die Heilung ist aus Gründen erfolgt, die nichts mit seinem pseudomedizinischen Weltbild zu tun haben.

Umfangreiche Wirkungstests

All das Gesagte gilt übrigens selbstverständlich auch für die normale Medizin. Auch hier ist vorab nicht klar, ob ein Medikament irgendwas mit einer etwaigen Heilung zu tun hat und wenn ja, ob es auf die vermutete Art und Weise gewirkt hat. Genau deswegen müssen Medikamente ja auch umfangreiche Tests absolvieren, bevor sie offiziell zugelassen werden. Nur so kann sicher gestellt werden, dass man hier nicht nur heilt, sondern auch "recht hat". An die alternativmedizinischen Mittelchen werden diese Ansprüche nicht gestellt und daher ist es leicht, sich selbst und/oder die Patienten zu täuschen.

"Wer heilt, hat recht" wäre tatsächlich ein Argument, gegen das sich kaum etwas sagen ließe. Nur wird es eben sehr oft bei Fällen angewandt, wo weder jemand geheilt, noch jemand recht gehabt hat. (Florian Freistetter, 7.7.2015)