Euphorisches Strahlen dreier Damen bei der Kür: Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer, links und rechts flankiert von Dana Grigorcea (3sat-Preis) und Valerie Fritsch (Kelag-Preis und BKS-Bank-Publikumspreis).

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Die Ingeborg-Bachmann-Preisträger seit 1977:

  • 1977 – Gert Jonke
  • 1978 – Ulrich Plenzdorf
  • 1979 – Gert Hofmann
  • 1980 – Sten Nadolny
  • 1981 – Urs Jaeggi
  • 1982 – Jürg Amann
  • 1983 – Friederike Roth
  • 1984 – Erica Pedretti
  • 1985 – Hermann Burger
  • 1986 – Katja Lange-Müller
  • 1987 – Uwe Saeger
  • 1988 – Angela Krauß
  • 1989 – Wolfgang Hilbig
  • 1990 – Birgit Vanderbeke
  • 1991 – Emine Sevgi Özdamar
  • 1992 – Alissa Walser
  • 1993 – Kurt Drawert
  • 1994 – Reto Hänny
  • 1995 – Franzobel (eigentlich Stefan Griebl)
  • 1996 – Jan Peter Bremer
  • 1997 – Norbert Niemann
  • 1998 – Sibylle Lewitscharoff
  • 1999 – Terezia Mora
  • 2000 – Georg Klein
  • 2001 – Michael Lentz
  • 2002 – Peter Glaser
  • 2003 – Inka Parei
  • 2004 – Uwe Tellkamp
  • 2005 – Thomas Lang
  • 2006 – Kathrin Passig
  • 2007 – Lutz Seiler
  • 2008 – Tilman Rammstedt
  • 2009 – Jens Petersen
  • 2010 – Peter Wawerzinek
  • 2011 – Maja Haderlap
  • 2012 – Olga Martynova
  • 2013 – Katja Petrowskaja
  • 2014 – Tex Rubinowitz
  • 2015 – Nora Gomringer
Foto: APA / Gert Eggenberger

Wien – In den letzten fünf Tagen war es eng in Klagenfurt. Zum Beispiel auf den Publikumstribünen im Theater des ORF-Landesstudios. Mehr als 150 Zuschauer je Lesung haben sich die Live-Atmosphäre nicht entgehen lassen, schon fünf Minuten nach Einlass waren kaum mehr Plätze zu ergattern. Den Medienvertretern gehörte die hinterste Sitzreihe.

"Sind Sie Presse", wollen die Später- und damit schon Zuspätkommenden die bereits zwischen fremden, nikotinausdünstenden Schultern und nackten, feisten, oben in kurzen Hosen und unten in hochgezogenen schwarzen Socken feststeckenden Redakteursbeinen Eingeklemmten listig einer unrechtmäßigen Platzeinnahme überführen. "Ja, bin ich!", so die Antwort des Babyface-STANDARD-Redakteurs. "Er meint, er sei von der Presse", wiederholt das enttäuschte Gegenüber zweifelnd.

Seit gestern ist das aber wieder einmal Vergangenheit. Das Literaturevent, das sich selbst und das auch Juryvorsitzender Hubert Winkels – trotz TV-Übertragung, Umhängetaschen und einer treuen Anhängerschar von Bachmanntouristen – gern nicht als ein solches sehen mag, hat seine 39. Auflage gut hinter sich gebracht. Auch der von den Organisatoren gezückte Sparstift machte da keinen Strich durch die "günstige" Rechnung. Gab es halt "nur" Liptauerbrot und Nudeln – was soll's; schließlich war die versammelte Literaturmeute ja eigentlich nicht zum Essen in der Lindwurmstadt!

Fernsehen, nicht nur für die Ohren

14 Autoren an drei Lesetagen waren zu bewältigen respektive zu genießen. Zuweilen konnte man sich zwischen den Vorträgen allerdings in einem Kurzfilmwettbewerb wähnen, so aufwendig gestaltet waren die Videoporträts u. a. von Valerie Fritsch, Peter Truschner und Teresa Präauer. Ein Trend, wie Winkels erkennt. Über die Bewertung eines solchen "Gesamtkunstwerks" aus Vorstellungsvideo, Performance und Blatttext wird die Jury sich in den nächsten Jahren wohl noch Gedanken machen müssen.

Nicht zuletzt, weil heuer mit der schweizerisch-deutschen Ex-Poetry-Slammerin Nora Gomringer ein Text den Ingeborg-Bachmann-Preis (25.000 Euro) gewonnen hat, der stark auch über seine Präsentation funktionierte.

Recherche heißt das von Neo-Jurorin Sandra Kegel nominierte polyphone Beinahe-Hörspiel über die Nachforschungen einer Autorin in einem Mehrparteienhaus zum Selbstmord eines Jungen. Es führe vor, wie jemand, der zuschaut, sich mitschuldig mache, so Juror Juri Steiner.

Ansonsten dominierten den Bewerb überwiegend klassische Prosatexte. Und die waren ein guter Jahrgang. Die Dichte an potenziellen Preisträgern sei so hoch wie lange nicht, rauschte es schon im Vorfeld durch die Feuilletonblätter. Am Ende der thematisch von Familie und Beziehungen generell, einer besseren Welt sowie zuletzt auch Zeitgeschichte im Spiegel individueller Biografien bestimmten Lesetage kamen fünf Autorinnen und ein (Quoten?-) Mann für die drei von der siebenköpfigen Jury zu vergebenden Preise infrage.

Viele Preisverdächtige

Die Nora Gomringer im ersten Wahlgang unterlegene Österreicherin Teresa Präauer rutschte dank des reformierten, mitunter absurd anmutenden Abstimmungsmodus automatisch ins Stechen um den zweiten Preis, wo sie sich aber Landsmännin Valerie Fritsch geschlagen geben musste. Neben dem Kelag-Preis (10.000 Euro) konnte jene für ihren Text über einen beinamputierten Vater und dessen Sohn dann auch noch den BKS-Bank-Publikumspreis (7000 Euro) für sich verbuchen – und den Grazer Neo-Juror Klaus Kastberger, der sie ins Rennen geschickt hatte, damit wohl recht zufrieden machen.

Für Präauer und ihren am Vortag allseits akklamierten Text über einen Stalker klappte es schließlich auch im dritten Anlauf um den 3sat-Preis (7500 Euro) nicht. Der ging an die Schweizerin Dana Grigorcea. Der Ernst-Willner-Preis, bisher der vierte von den Juroren ermittelte Gewinn, wird seit heuer nicht mehr vergeben.

Wettlesen in der Midlifecrisis?

Die um drei Neuzugänge bereicherte Jury übrigens machte einen soliden Job. Dass sie nicht unfehlbar ist, wie Winkels gleich am ersten Tag eingeräumt hatte, um die antretenden Autoren zu beruhigen, bewies sie dabei jedoch auch. Zu wenig Interesse schien man etwa für die Texte Ronja von Rönnes oder Falkners zu entwickeln, zu wenig Kritik für jene von Fritsch und Präauer. Für markige Sprüche und diskussionsfreudige Statements sei auf jeden Fall Westentaschen(buch)-Rambo Kastberger gedankt.

Bleibt noch, angesichts des 40. Jubiläums des Wettlesens am Wörthersee im kommenden Jahr, nach der Relevanz desselbigen zu fragen. Vom ORF angedachte Midlife-Crisis-Panikreaktionen zur Steigerung des Eventfaktors konnten heuer noch einmal abgewendet werden. Bleibt zu hoffen, dass dies auch in den nächsten Jahren so bleibt, denn schließlich gilt hier eine einfache Regel: Texte gut, (fast) alles gut! (Michael Wurmitzer, 5.7.2015)