Dass Recht und Moral nicht zwangsläufig deckungsgleich sind, wird wohl schon der babylonische König Hammurabi gewusst haben, als er vor knapp 4000 Jahren seine Rechtssätze niedermeißeln ließ. Sollte er das wider Erwarten doch geglaubt haben, kann es nur daran liegen, dass ihm das Konzept des geförderten Wohnbaus fremd war. Welche Diskrepanzen in diesem Bereich zutage treten, kann man derzeit in Wien begutachten.

Da gibt es den Geschäftsführer einer GmbH, die das mit Steuergeldern geförderte Wohnprojekt Kabelwerk errichtet hat. In einer der Wohnungen lebt seine Tochter; völlig in Ordnung, sie wird die Förderkriterien wohl erfüllen, und Sippenhaftung gibt es Gott sei Dank nicht.

Selbstgespräche

Praktischerweise partizipiert der väterliche Manager aber auch an der Mietwohnung: Einer der Räume ist nämlich ein Büro, in dem eine Immobilienentwicklungsfirma residiert. Und deren Geschäftsführer sind originellerweise Vater und Tochter. Als "Partner" wird auf der Homepage das Kabelwerk angeführt – man darf mutmaßen, ob der Vater bei einem Meeting als zweifacher Geschäftsführer Selbstgespräche führt oder seine Tochter im Vorfeld brieft.

Rechtlich sei daran alles in Ordnung, er habe alle Genehmigungen dafür, empört sich der Kabelwerk-Chef über die "haltlosen Anschuldigungen", die in einer Anzeige bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft gipfelten. Gut möglich, das wird die Justiz zu beurteilen wissen.

Rechtlich in Ordnung ist ja offensichtlich auch, dass in einem anderen Fall der Obmann des Bundesverbands der gemeinnützigen Bauvereinigungen sich immobile Filetstücke sicherte, in denen dann niemand wohnte.

Man lernt fassungslos daraus: Um mit Steuergeld hantieren zu dürfen, mit dem leistbarer Wohnraum geschaffen werden soll, braucht man bestimmte rechtliche Voraussetzungen. Moralische eher nicht.

(Michael Mösenender, 5.7.2015)