Athen – Die Stimmung ist gespannt und mitunter auch gereizt: "Ich habe Griechisch gewählt, nicht Deutsch!", blafft ein älterer Herr, als er aus dem Wahllokal in einer Schule im Athener Stadtviertel Pangrati kommt. Er trägt einen kleinen Strohhut gegen die Sonne und ein akkurat gebügeltes Hemd. Vor allem aber trägt er eine Wut in sich gegen die Kreditgeber, die sein Land seit fünf Jahren an der Leine halten.

Zwischen Hoffen und Bangen

Neun Millionen Griechen sind an diesem Sonntag aufgerufen, in einer Volksabstimmung, die erst vor einer Woche beschlossen wurde, über den weiteren Kurs mit den Gläubigern zu entscheiden. Für die einen geht es um die Zukunft Griechenlands und seinen Platz in Europa; für die anderen, die Neinsager, um einen Akt der Selbstbehauptung und um eine Botschaft an die Kreditgeber von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfond: Sie sollen ein besseres Kreditabkommen anbieten, ohne weitere Einsparungen zu Lasten der schwächeren Teile der griechischen Gesellschaft. Griechenlands Schuldenlast beträgt etwa 325 Milliarden Euro oder 170 Prozent der Wirtschaftsleistung. Weil die EZB vorerst keine neuen Notfallkredite an griechische Banken vergibt, die Griechen aber weiter Geld von den Konten abziehen, sind Geldinstitute und Börse in Athen seit vergangenen Montag geschlossen.

Es ist das vierte Referendum in Griechenlans seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und das erste, bei dem es nicht um die Verfassung des Staates geht. Die letzte Volksabstimmung liegt knapp 40 Jahre zurück; 1974, nach dem Fall der Junta, entschieden die Griechen für eine parlamentarische Demokratie und gegen die Rückkehr der Monarchie.

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Nein auf dem Stimmzettel über dem Ja

Die Wähler bekommen heute zwei Stimmzettel: einen mit der Frage zum Angebot für ein Kreditabkommen der Gläubiger vom 25. Juni, wo nein oder ja angekreuzt werden soll (das Nein steht unüblicherweise über dem Ja); und ein leeres Blatt für den Fall, dass sie ungültig stimmen wollen. Die Kommunistische Partei KKE gibt vor manchen Wahllokalen den Griechen zudem eigene Stimmzettel, auf denen das Nein der Partei zur EU und zum Euro steht; diesen Zettel sollen die Wähler dann in die Urne stecken und damit auch ungültig stimmen – aber im Sinne der KKE, die sich von der regierenden "Koalition der radikalen Linke" (Syriza) distanziert.

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Regierungschef Alexis Tsipras kam, angefeuert von "Oxi, Oxi"-Rufen (griechisch für Nein; sprich: Ochi), in sein Wahllkokal in einer Schule im Athener Viertel Kipseli. "Die Demokratie besiegt heute die Furcht", sagte der Regierungschef. Tsipras' Vorgänger Antonis Samaras stimmte wie immer in seinem Wahlkreis im Städten Pylou auf dem Peloponnes ab; er rief zum Ja auf, ebenso wie Stavros Theodorakis, der Ex-Fernsehjournalist, der die liberale Bürgerbewegung To Potami führt. Finanzminister Yanis Varoufakis warnte am Vortag der Abstimmung die Europäer: Wenn sie den Bankrott Griechenlands erlaubten, dann würden eine Billion Euro verlorengehen.

Ihr Angebot haben die Kreditgeber mittlerweile zurückgezogen. Damit das Referendum gültig ist, müssen sich mindestens 40 Prozent der Wahlberechtigkeiten beteiligen. Die Wahllokale sind bis 19 Uhr Ortszeit – 18 Uhr österreichischer Zeit – geöffnet. Ergebnisse werden etwa zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale erwartet. "Die Regierung sollte am Montag zurücktreten, wenn das Ja gewinnt", erklärte eine Jus-Studentin vor einem Wahllokal im bürgerlichen Viertel Kolonaki. Ein Nein wäre verheerend für Griechenland, sagte die 28-jährige Christina: "Die Armen werden dann nur noch ärmer." (Markus Bernath aus Athen, 5.7.2015)